Weiss
hatte.
Andrej Rostow setzte sich an seinen Schreibtisch, machte einen Zug mit dem weißen Pferd und drehte das Schachbrett um. Die größten Sorgen bereitete ihm überraschenderweise die Nachricht aus London, dass Lilith Bellamy Leo Kara getroffen hatte. Die Frau war schließlich das einzige Mitglied der Forschungsgruppe »Piloto Mayor« auf freiem Fuß.
Rostow erinnerte sich ganz ausgezeichnet an die schöne und zerbrechliche Lilith. Sie hatten sich 1985 in der Forschungsgruppe kennengelernt, zu einer Zeit, als alles noch in Ordnung war und die Welt vom Kreml aus dirigiert wurde. An die ersten Jahre dieser Gruppe dachte er oft mit Wehmut zurück. Sie waren junge, hungrige Wissenschaftler gewesen, die darauf brannten, Großes zu schaffen. Nur ganz wenige Akademiker durften in ihrer Laufbahn eine solche Freude an wissenschaftlicher Arbeit erleben.
Die Vernichtung der Gruppe »Piloto Mayor« war ein Bluff gewesen, ein Ablenkungsmanöver, eine geschickte Inszenierung. Die tüchtigsten Generale der Sowjetunion, die in ihren letzten Zügen lag, hatten das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei belogen und behauptet, die für den Westen arbeitende Forschungsgruppemüsse eliminiert werden, ehe die USA und ihre Verbündeten gegenüber der Sowjetunion einen allzu großen Vorsprung erreichten, was das Gleichgewicht des Schreckens erschüttern würde. Die Generale hatten das auch mit ihrer Befürchtung begründet, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Zerschlagung der Forschungsgruppe vielleicht nicht mehr möglich wäre.
Die Wahrheit sah natürlich ganz anders aus. Es bestand nie die Absicht, die Forschungsgruppe zu vernichten, sie sollte nur für die Ziele neuer Herren eingespannt werden. Die Operation 1989 im Park Royal war eine der ersten Machtdemonstrationen der neuen Herrscher Russlands. In Wirklichkeit führte die Forschungsgruppe ihre Arbeit nach den Ereignissen im Jahr 1989 weiter, geschlossener und stärker als zuvor. Und als Putin seine Macht in Russland stabilisiert hatte, wuchs sie allmählich immer weiter, bis aus ihr ein Riese wurde – Mundus Novus. Ein Riese, dessen wichtigsten Teil er, Andrej Rostow, leitete. Ohne seine Arbeit und seine Forschungszentren gäbe es Mundus Novus nicht. Die neue Welt.
***
Die Stimmung im unterirdischen Beratungsraum des Krisenkomitees COBR wirkte befreit. Das gesamte gestohlene Plutonium aus Sellafield war im Hafen A Coruňa in dem nordkoreanischen Frachtschiff »MS Mu San« gefunden worden, und die »Pacific Hero« hatte man zur Untersuchung nach Cork in Irland geschleppt.
»Wurde die Besatzung der »Pacific Hero« schon verhört?«, fragte der Premierminister und stapelte seine Unterlagen. Er schien bereit zu sein, Citadel zu verlassen.
»Die Besatzung wurde auf den Philippinen angeheuert, wir glauben nicht, dass bei ihnen viele Informationen zu holen sind, sie haben nur Befehle befolgt. Der Kapitän ist der Einzige, der genau wusste, worin die Fracht des Schiffes bestand«, antwortete der Chef des MI5.
In dem Moment kehrte Betha Gilmartin, die am Rande mit ihrem Handy telefoniert hatte, an den Beratungstisch zurück und räusperte sich ein paarmal, um die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu lenken. »Die vor acht Tagen in Italien entführte Wissenschaftlerin Sabrina Pianini ist in Minsk in Weißrussland ermordet worden. Allerdings konnte sie dem italienischen Nachrichtendienst noch einige Informationen übermitteln. Laut Pianini wurde der Anschlag in Sellafield ausgeführt, weil die Terroristen eine erhebliche Menge Iridium, Neodym und andere Elemente brauchten, um eine Laserwaffe der Gigawattklasse zu reparieren, die eine beispiellose Wirkung erzielen soll. Heute will man sie erproben.«
Betha Gilmartin setzte sich hin, sie sah erschöpft aus, die Komiteemitglieder schauten sie immer noch fragend an.
»Sie wollen eine Laserwaffe testen. Wo? Woran will man sie erproben? Und warum?«, fragte der Oberkommandierende der Streitkräfte schließlich.
»Das konnte Pianini nicht mehr sagen«, antwortete Betha Gilmartin.
»In welchem Maße ist die Erfindung solch einer Laserwaffe der Gigawattklasse eigentlich revolutionierend?« Der Premierminister kam anscheinend nicht ganz mit.
Der Oberkommandierende der Streitkräfte hob die Arme. »Die Lasertechnologie ist schon fast ein alter Hut, sie wird in zahllosen Geräten für den Alltag genutzt, aber für den militärischen Einsatz geeignete wirkungsvolle Laser konnte man erst in den letzten Jahren richtig testen.
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