Weiss
schaffte, jedes Mal, wenn sie sich trafen, sein Konzept völlig durcheinanderzubringen.
»Gehe ich richtig in der Annahme, dass du, wenn ich dir verbiete, Hofmans Geschäfte zu untersuchen, sagst: Curzon Street, Mayfair?«
Kara nickte und klappte seine Mappe zu. »Ich fliege mit der nächsten Maschine nach Finnland«, antwortete er im Hinausgehen.
Gilbert Birou schloss die Augen und verfluchte jenen Tag vor vier Jahren, an dem ihn die Metropolitan Police bei einer Routinerazzia im Londoner Mayfair erwischt hatte. Es sah so aus, als müsste er bis ans Ende seiner Tage für dieses Missgeschick büßen. Doch auch er brauchte in seinem Leben etwas, das ihm Erleichterung brachte, der Schutzschild, den er sich schon als Junge geschaffen hatte, erwies sich als dick, aber porös. Es war merkwürdig, wie die Kindheit das ganze Leben des Menschen bestimmte. Er hatte seine ersten achtzehn Jahre in der toten und windigen Kleinstadt Penmarch verbracht, seinen despotischen Vater, einen Gärtner, gehasst, seine Mutter angebetet und ausschließlich davon geträumt, die Bretagne, seinen tyrannischen Vater und die ewigen Kartoffeln mit Fisch loszuwerden.
Im Laufe der Jahre war es ihm gelungen, sein Leben so einzurichten,dass es sorgenfrei blieb. Im UNODC erledigten die Mitarbeiter des Stabs nahezu alles für ihn, und er konnte sich ganz dem Rrepräsentieren widmen. Er besaß in Paris eine geräumige Wohnung in der Avenue du Docteur Brouardel im siebenten Arrondissement, er kleidete sich ohne Abstriche wie ein Gentleman, speiste jeden Abend im Restaurant und kaufte leidenschaftlich gern exquisite Erzeugnisse, die zu den renommiertesten der Welt gehörten. Und das Sahnehäubchen waren seine Momente mit Mathilde. Das alles bot ihm Lebensinhalt im Überfluss. Über Jahrzehnte hatte er seinen Vorgesetzten gegenüber den kompetenten und effizienten Leiter spielen können, und nun drohte ein fünfunddreißigjähriger finnisch-britischer Verrückter all das zu ruinieren, nur weil er sein einziges Laster kannte.
Gilbert Birou hatte nicht die Absicht, das einfach so hinzunehmen.
***
Milica Molnar, die Sekretärin von Bogdan Bojanić, wusste nur von einem Teil der Brutalitäten, die ihr Arbeitgeber täglich beging, aber das reichte. Sie verabscheute den Mann aus tiefstem Herzen. Eine Mittagspause hatte sie nicht, aber sobald Bojanić die Villa verließ, konnte sie eigentlich tun, was sie wollte, sie musste nur die Telefongespräche, die für ihn eingingen, auf ihr Handy umleiten. Als Milica Molnar hinaustrat, legte sich die heiße Luft auf ihre Haut wie die schwüle Feuchte nach einem Regen. Einige Wolken brachten in der glühenden Hitze wenigstens etwas Erleichterung.
Sie war zweiunddreißig Jahre alt, aber ihr Leben war praktisch zu Ende. Zumindest ein Leben, wie sie es sich gewünscht hätte. Das lag keineswegs an dem Maienabend vor zehn Jahren, als sie im Lukas-Club, der auf den Wellen der Save schaukelte, Uroš Molnar begegnet war. Und auch nicht daran, dass sie nach einigen Smirnoff-Coolern ganz relaxt gewesen war und Uroš gleichbei ihrem ersten Date auf dem Vordersitz seines Cabrios, eines Porsche 911 Carrera, unter ihren Rock gelassen hatte. Es lag vielmehr daran, dass sie von all dem fasziniert war, was Uroš mitbrachte, als er in ihrem Leben auftauchte: modische Kleidung, Auslandsreisen, Schmuck, wilde Partys, kurz gesagt – Geld. Serbien war durch den Krieg ramponiert und durch die Handelssanktionen verelendet, in so einem Land sagten junge Leute um die zwanzig nicht: »Da spuck ich drauf«, wenn sich ihnen die Chance bot, an Geld oder Waren aus dem Westen zu kommen.
Die Hupe eines Cabrios dröhnte so laut, dass Milica Molnar zusammenzuckte, ein paar junge Männer fuhren mit ihrem Wagen im Schneckentempo den Bulevar Kneza Aleksandra Karador- -devića - entlang und winkten ihr mit obszönen Gesten zu.
Nachdem sie Uroš geheiratet hatte, wurde sie allmählich Teil der kriminellen Organisation Voždovac, die Ehefrauen der Mitglieder hielten zusammen wie die Frauen in einem Harem. Als der ehrgeizige Uroš dann vorschlug, sie solle als Sekretärin für Bogdan Bojanić arbeiten, willigte sie aus Dummheit ein. Das war der letzte Nagel zu ihrem Sarg gewesen, sie war tief in die Welt von Bojanić und der ganzen serbischen Mafia, der Naša Stvar, eingesunken, so tief, dass sie nie wieder herauskommen würde.
Seit dem Tod von Uroš gab es in ihrem Leben nur noch die Arbeit. Ein
Hitman
hatte ihren Mann vor drei Jahren in der Bar
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