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Weiss

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Titel: Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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der Firma International Nuclear Transport kurvte zwischen den Betonhindernissen hindurch und stoppte um 22.03 Uhr vor dem mit Beton und Stacheldraht gesicherten Haupteingang von Sellafield. Die mit Maschinenpistolen bewaffneten Konstabler der Civil Nuclear Police, die Großbritanniens Kernkraftwerke schützte, beobachteten den Lkw.
    Das Kernkraftwerk Sellafield und die Anlage zur Wiederaufbereitung und Lagerung von Atommüll befanden sich an der Küste der Irischen See in Cumbria im Nordwesten Englands. Auf dem über dreihundert Hektar großen Gelände war das Plutoniumarsenal Großbritanniens untergebracht, das über hunderttausend Kilo umfasste. Abgesehen von militärischen Sperrgebieten war dies das weltgrößte Lager von waffenfähigem Plutonium.
    Hochradioaktiver Atommüll, das heißt verbrauchter Kernbrennstoff, wurde in den einundzwanzig Stahltanks der oberirdischen Betonsilos der Anlage B215 gelagert. Um zu verhindern, dass es zum Sieden, zu einer Kettenreaktion oder zur Entstehung radioaktiver Emissionen kam, musste der Atommüll ständig gekühlt und gemischt werden. Ein erfolgreicher Terroranschlag auf die Silos der Anlage B215 in Sellafield würde viele radioaktive Stoffe in die Atmosphäre und die Irische See freisetzen, auch Cäsium-137,das die Emissionen beim Unglück von Tschernobyl ausgelöst hatte. Siebenundzwanzig Kilo des entwichenen Isotops Cäsium-137 hatten dort ausgereicht, um riesige Zerstörungen zu verursachen, in Sellafield lagerten Tausende Kilo des Stoffes. Ein Terroranschlag im Herzen von Sellafield würde die Küsten sowohl von England und Irland als auch von Schottland verseuchen und mit dem Wind würde sich der atomare Niederschlag in weiten Gebieten Nordenglands, Irlands und Schottlands ausbreiten und sie für Generationen unbewohnbar machen. Zumindest Dublin, Edinburgh, Leeds und Newcastle müssten wegen des nuklearen Niederschlags evakuiert werden, in Abhängigkeit von der Windrichtung vielleicht auch andere Großstädte.
    Nick Fletcher, der hinterm Lenkrad des Lkws der Firma Nuclear Transport saß, hatte nicht Schmetterlinge im Bauch, sondern mindestens Sperlinge. Bei diesem Auftrag war etwas faul, er spürte das auf dieselbe rätselhafte, unerklärbare Weise, wie er die seltenen empfindlichen Niederlagen von Everton schon wenige Minuten nach dem Anstoß auf dem Rasen des Goodison Park voraussagen konnte. Er bezeichnete das nicht als sechsten Sinn, an so einen Scheiß glaubte er schließlich nicht, aber manche Dinge konnte er unbestreitbar einfach nur durch die Stimmung spüren. Ob nun Gabe oder Fluch, jedenfalls vererbte sich die Fähigkeit in seiner Familie. Er selbst hielt sein Talent geheim. Ganz anders seine Mutter, die hatte ihre Begabung auf allen Märkten und Plätzen ausposaunt und sich am Ende in ihrer Heimat selbst zum allgemein anerkannten Dorftrottel gemacht.
    Fletcher fuhr den Laster in die Durchleuchtungsanlage, sein Gehilfe Luke sprang mit einem Stoß Unterlagen aus der Kabine. Um eine Fuhre aus Sellafield abzuholen, war so eine Menge Papierkrieg nötig, dass die Firma kürzlich eine neue Mitarbeiterin eingestellt hatte, die sich ausschließlich darum kümmerte. Die Papiere für den Auftrag waren in Ordnung, das wusste Fletcher, er hatte sie selbst überprüft. Und genau das war das Problem. Wiezum Teufel hatte man es geschafft, dass die Unterlagen in nur vierundzwanzig Stunden fertig waren? Der Chef hatte ihn erst letzte Nacht gegen zwei Uhr über diesen Auftrag informiert, obwohl die Listen der Touren in der Regel jeweils für eine ganze Woche im Voraus festgelegt wurden. Laut Frachtbrief sollten sie lediglich ein paar Tonnen einer ungefährlichen Fracht abholen, aber der Chef hatte sich so aufgeführt, als ginge es darum, die Kronjuwelen aus dem Tower zu holen. Der Leiter der Abteilung für die Lagerung ungefährlicher Stoffe in Sellafield würde schon am Haupteingang zusteigen, und die Fracht musste nach Einbruch der Dunkelheit abgeholt werden, obwohl man normalerweise nächtliche Besuche in Sellafield vermied. Und all diese ungewöhnlichen Vorkehrungen bloß wegen einer ungefährlichen Fracht, die zudem nur schlappe zehn Meilen bis zum Hafen von Whitehaven gebracht werden sollte. Das war ein kleiner Touristenhafen, in den sonst normalerweise keine Fracht aus Sellafield gekarrt wurde. Auf seine neugierigen Fragen hatte ihn der Chef nur angeschnauzt: »Lies den Frachtbrief!«, und sich dann wieder in seine Arbeit vertieft.
    Die Polizisten, die den Lastwagen

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