Weiss
ihnen selbst entwickelte Würmer, Hintertüren, Trojaner oder …«
Plötzlich verzog Betha Gilmartin das Gesicht und ächzte, als sie einen schneidenden Schmerz in der Herzgegend spürte, auf dem Pulsmesser blinkten die Zahlen 136, sie musste den Kopf auf die Knie legen und tief durchatmen. Dann stellte sie sich vor, dass ihr Körper aus Luftballons bestand. Sie öffnete die Ventile an den Beinen, die Luft strömte hinaus, bis die Beine leer waren, nun das Ventil an der Brust, das am Kopf …
Als sich die Wirkung der Entspannungsübung einstellte, richtete sie sich auf. »Wir brauchen unbedingt Ergebnisse. Geht alles durch, was über die Anschläge in Marcoule und Sellafield bekannt ist, der Leiter der Ermittlungsgruppe, Clive Grover, wird euch von einer möglichen Verbindung dieser Anschläge mit der Raketenkrise vom vergangenen Jahr berichten und euch detaillierte Aufträge erteilen«, sagte Betha Gilmartin mit schmerzverzerrtem Gesicht und verließ im Kreuzfeuer neugieriger Blicke langsam den Beratungsraum. Am liebsten hätte sie sich selbst ans Bein getreten, musste sie denn auch noch Anlass für Klatsch und Tratsch liefern, und das gerade jetzt, wo die Auseinandersetzung um die Auswahl eines neuen SIS-Chefs auf Hochtouren lief.
Wenig später betrat Betha Gilmartin ihr Büro, zerrte den Saumihrer Bluse aus dem Rock heraus und riss den Klettverschluss des Stützkorsetts auf. Sie sank in ihren Sessel und holte tief Luft. Dass es eine Verbindung zwischen den Anschlägen von Marcoule und Sellafield gab, hatte sie ausgesprochen überrascht, das musste sie sich eingestehen. Mundus Novus hatte erst in Marcoule Material für »schmutzige« Bomben gestohlen und dann zweimal in einem der weltweit größten Plutoniumlager zugeschlagen. Da wurde selbst dem Dümmsten klar, dass etwas Großes im Gange war, etwas noch Größeres als die Marschflugkörper, die Mundus Novus letztes Jahr hatte bauen lassen. Damals war es der internationalen Gemeinschaft der Nachrichtendienste nicht gelungen, den Raketenanschlag des Sudan und seiner Verbündeten auf das UN-Hauptquartier in Kenia zu verhindern, doch diesmal konnte man sich einen Misserfolg einfach nicht leisten: Ein Unglück in Sellafield würde schlimmstenfalls Millionen Menschen töten, und das Eingehen auf die Forderungen der Terroristen auch.
Seit Jahren hatte sich Betha Gilmartin nicht solche ernsten Sorgen um ihren Gesundheitszustand gemacht, oder genauer gesagt um ihre Pumpe, und die nächsten Tage würden die anstrengendsten ihrer ganzen Laufbahn werden. Sie hatte die Nase voll und fühlte sich müde, merkwürdigerweise sah sie den Garten ihres Sommerhauses in Torquay vor sich. Als sie jünger war, hatte sie sich nicht im Geringsten für Blumen oder Gartenarbeit interessiert, doch nachdem sie jahrelang erlebt hatte, wie Albert seine Rosen liebte, verstand auch sie allmählich die meditative Dimension der Gartenpflege, einer stillen Arbeit, die mit einer kurzzeitigen Blüte und schnellem Verwelken belohnt wurde. Triebe, Blüte, Verwelken, Tod. Jedes Jahr, immer wieder von neuem.
Betha Gilmartin bemerkte auf ihrem Schreibtisch aktuelle Berichte über Mundus Novus und wollte sie durchlesen, bevor sie die Informationen mit ihren Kollegen teilte.
Das Ergebnis der Zusammenfassung zu Andrej Rostow, der Sabrina Pianini gemeinsam mit Manas in Barga besucht hatte,war gleich null. Die Analytiker der Russland-Abteilung hatten über Rostow nichts herausgefunden, und in den Aufzeichnungen der Überwachungskameras aller Flughäfen in Norditalien fand sich kein einziges Bild von Manas, weder von ihm allein noch mit seinem Begleiter. Sie wussten von Dr. Rostow weiterhin nur das, was die verstorbene Haushälterin Sabrina Pianinis berichtet hatte. Leitete Andrej Rostow tatsächlich irgendeine Art Forschungsinstitut, arbeitete Rostow für Mundus Novus so wie Manas? Ihr Instinkt sagte ihr, dass es den SIS beim Versuch, das Ziel von Mundus Novus zu erkennen, einen großen Schritt voranbringen würde, wenn man Rostow finden und verhören könnte.
Betha Gilmartin warf die Zusammenfassung auf den Schreibtisch und griff nach der nächsten Mappe. Sie enthielt einen Bericht über den Trust namens Kivijalka und die Firma Severnaja, Personenprofile zu Eero Palomaa und Marat »Ratte« Krylow sowie einen brandneuen Rapport über die Zusammenarbeit von Bogdan Bojanić und Dimitri Arbuzow. Anscheinend hatte Leo wie gewohnt gute Arbeit geleistet, alles, was der Junge in Wien herausgefunden hatte, war
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