Weiss
hieb- und stichfest: Sowohl Severnaja als auch Kivijalka hatten nach den Daten des Zahlungsverkehrs ständig mit Viktor Hofman zusammengearbeitet. Also mit Mundus Novus. Und jetzt untersuchte Leo Kara die Angelegenheiten von Mundus Novus zweifellos auf seine Art, so rücksichtsvoll wie jemand, der Zäune einriss.
Gilbert Birou musste Kara schon eher aus Finnland abkommandieren, nicht erst am Montag, beschloss Betha Gilmartin.
***
Für Gilbert Birou hätte der Tag nicht besser beginnen können. Als er morgens halb sechs mit einer Erektion aufgewacht war, konnte er den Duft von Valeri und Mathilde noch auf seiner Haut spüren. Er war früh mit der ersten Maschine nach Wien geflogen, hatte im Café »Daniel Moser« sein Frühstück genossen und legtenun gerade den handgefertigten Montecristi-Panamahut von Brent Black auf die Garderobe in seinem Büro. Birou wischte ein paar Fussel vom Ärmel seines Sommeranzugs, rückte die Krawatte zurecht, setzte die Brille mit Goldgestell auf und schob seine Armbanduhr, eine Patek Philippe Gondola, in die richtige Position. Zum Schluss strich er über seine Schläfenhaare, setzte sich hin und griff nach dem obersten Brief des Stapels mit der Post, die nicht aus dem Haus kam. Manchmal musste man schließlich auch arbeiten.
Eine Zusammenfassung der Reden auf der Interpol-Konferenz über Produktfälschungen, eine Einladung zur Vernissage einer Edvard-Munch-Ausstellung im Leopold-Museum, ein Brief ohne Absender oder Logo irgendeiner Firma oder Organisation … solche Post bekam er äußerst selten. Er schnitt den Umschlag mit dem Brieföffner auf und holte einen Stapel … Fotos heraus.
Gilbert Birous Welt stürzte innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde ein, noch bevor die Fotos, die ihm aus der Hand fielen, auf dem Schreibtisch landeten. Er, oder besser Mathilde, und Valeri aufgenommen aus allen möglichen Perspektiven. Er, gekleidet als Mathilde, und Valeri in den Schulsachen eines kleinen Jungen … Birou griff mit zitternden Händen nach den Fotos. Das hier war nicht bei dem gestrigen Treffen fotografiert worden, und das auch nicht, jemand hatte seine Spiele schon seit Monaten ausspioniert. Gilbert Birou ging auf die Toilette seines Büros, beugte sich über das Klobecken und versuchte sich zu übergeben. Das Schlimmste war eingetreten, man hatte ihn erwischt und wollte ihn nun erpressen. Er stürzte zurück an den Schreibtisch – wo war die Forderung oder Drohung, der Brief musste auch noch etwas anderes enthalten als die Fotos, was wollten sie von ihm …
Die ausgedruckte Nachricht fand sich unter dem Stapel Fotos.
»Rufen Sie die Nummer +420 739 774 709 an.«
Birou musste an einen Novembersonntag mit besonders eisigem Wind denken. Damals war sein Vater mit ihm auf die Spitzedes fünfundsechzig Meter hohen Eckmühl-Leuchtturms in seinem Heimatort gestiegen und hatte ihn gezwungen, sich über das Geländer zu lehnen. Zwar hatte Vater ihn am Gürtel festgehalten, aber er war sicher gewesen, dass er ihn loslassen würde. Er hatte sich vorgestellt, wie er ins Schwanken geraten und über das Geländer kippen und dann einen Moment in der Luft schweben würde, bis er schließlich hinabstürzte, immer schneller wurde und … Der Augenblick, den er gerade erlebte, kam ihm fast genauso vor. Mit dem Unterschied, dass er sich das jetzt nicht nur vorstellte, die Fotos logen nicht, jemand wollte ihn erpressen. Und dieser Jemand würde garantiert loslassen und ihn abstürzen lassen, wenn er nicht tat, was man ihm befahl.
Er wählte die Nummer auf dem Zettel, hörte ein Hallo und sagte seinen Namen.
»Wir wissen, dass Sie die Dienste Valeris schon seit einem Jahr in Anspruch nehmen, sämtliche Treffen wurden fotografiert. Das gilt für all Ihre Besuche in dem Bordell am Place Vendôme. Der Generaldirektor des UNODC ist ein so wertvoller Fang, dass wir abgewartet haben, bis sich wirklich Bedarf ergab, Ihre Beziehungen auszunutzen.«
Die monotone Stimme des englisch sprechenden Mannes hörte sich fast so an, als käme sie vom Band. »Was wollen Sie?«, fragte Birou, obwohl er die Antwort gar nicht hören wollte.
»Sie müssen sicherstellen, dass Ihr Assistent, der die Zusammenarbeit von Bogdan Bojanić und Dimitri Arbuzow untersucht, in Helsinki nichts findet. Und wenn er möglicherweise etwas in Erfahrung bringt, dann gewährleisten Sie, dass durch diese Informationen niemandem Nachteile entstehen. Sie …«
»Ich kann meinen Mitarbeiter sofort aus Finnland
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