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Weiss

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Titel: Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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fest, dass Karas Schuhe verschwunden waren und seine abgenutzte Ledertasche auch. Eine merkwürdige Art des Abgangs, an seinen Manieren musste Kara, vorsichtig ausgedrückt, noch arbeiten.
    Kati Soisalo kochte Kaffee, strich Marmelade aus schwarzen Johannisbeeren auf eine Scheibe Toast und erinnerte sich schmerzhaft deutlich, wie Vilma morgens oft einen Stuhl zum Toaster gezerrt hatte, um bei der Zubereitung des Frühstücks mitzuhelfen. Butter, Apfelmarmelade, Hüttenkäse und Käse – Vilma hatte alles aufgezählt, was sie auf ihr halbes, aufgebackenes Brötchen haben wollte.
    Nach dem Frühstück öffnete Kati Soisalo ihren Laptop auf dem Küchentisch. Marat Krylows Firma Severnaja vertrat in Finnland Landmaschinen von Agromasch. Ihre Verkaufsstellen befanden sich in Bollsta in der Kommune Raasepori, in Ylämaa und in Säyrylä bei Jämsä. Die Orte waren so klein, dass sie auf einer Karte im Internet nach ihnen suchen musste. Bollsta lag am nächsten, von Herttoniemi waren es vierundneunzig Kilometer.
    Anderthalb Stunden später fuhr Kati Soisalo in der ehemaligen Gemeinde Pohja, die heute zu Raasepori gehörte, die Lövdalintie entlang und fragte sich verwundert, warum das Gebäude für den Weiterverkauf der Landmaschinen von Agromasch an einem Sandweg in einer abgelegenen Gegend von West-Uusimaa lag. Am Ziel angekommen, parkte sie ihren Wagen auf dem Hof einerroten Fabrikhalle, stieg aus und schaute sich im warmen Nieselregen um. Der Hof war leer, und an dem Gebäude waren weder die Bezeichnung Agromasch noch der Name von Severnaja zu lesen.
    Die riesigen Schiebetüren der hohen Halle hatten keine Fenster, wohl aber die Giebelwand des Gebäudes. Dort befand sich auch eine normale Tür, die musste in die Büroräume führen. Kati Soisalo klopfte, zerrte an der Klinke, wartete und schlug dann mit der Faust an die Tür. Nichts. Sie drückte ihr Gesicht an eine Scheibe: ein Tisch, ein Stuhl und ein Schrank, und der war halb leer. Sie ging um das Gebäude herum, ohne andere Fenster oder Türen zu finden. Nachdem sie einen Augenblick die Alternativen abgewogen hatte, ergriff sie ein Brett, das an der Wand lehnte, trat vor das Bürofenster, schützte ihr Gesicht und holte aus. Dann stieß sie die scharfen Glassplitter hinein, die noch im Rahmen steckten, und kletterte in das Büro. In allen Schubfächern herrschte gähnende Leere, und die einzige Werbebroschüre im ganzen Regal mit Bildern von Landmaschinen war russischsprachig.
    Die Tür zur Halle öffnete sich knarrend. Kati Soisalo tastete nach dem Lichtschalter, die Leuchtröhren knackten und gingen langsam an. Leer – in der ganzen Halle war nicht eine einzige Maschine zu sehen. Es stank nicht mal nach Benzin, es fanden sich keine Ölflecken oder Reifen, es gab keinerlei Hinweise auf Landmaschinen. An einer Wand war etwas aufgestapelt. Kati Soisalo ging näher heran: Schaumstoffmatratzen. Schmutzige, stinkende Matratzen! Jetzt fügten sich die Puzzleteile ganz von allein zu einem Bild zusammen. Arbuzow hatte die Halle als Menschenlager gemietet, hier wurden die Mädchen gefangen gehalten, die man durch Finnland hindurch in andere Teile Nordeuropas transportierte. Endlich hatte sie wenigstens eine Art Beweis dafür entdeckt, dass sie auf der richtigen Spur war. Ihr Herz hämmerte, als sie langsam, den Blick auf den Boden geheftet, durch die Halle lief, vielleicht entdeckte sie etwas, Abfall, ein Kleidungsstück, irgendetwas.
    Vilmas Schicksal ging ihr durch den Kopf und zerriss ihr fast das Herz, obwohl sie mit aller Kraft versuchte, gerade jetzt nicht an ihre Tochter zu denken. Die Kinder, die hier übernachtet hatten, waren behandelt worden wie Vieh. Unschuldige junge Menschen, die niemandem etwas Böses zuleide getan hatten! Wie brachten es diese Bestien nur fertig, so etwas zu tun? Manchmal verachtete sie die ganze Menschheit. Weltweit lebten derzeit fast dreißig Millionen Menschen als Sklaven, mehr als man während der ganzen Zeit, in der Sklavenhandel legal war, aus Afrika entführt hatte, mehr als jemals zuvor in der Geschichte. Heutzutage konnte man einen Sklaven im Durchschnitt für hundert Euro kaufen, ein Mensch war billiger als ein gutes Handy.
    Plötzlich erblickte sie ein Stück Papier, das unter der Fußbodenleiste eingeklemmt war. Sie öffnete den zusammengefalteten Zettel vorsichtig, er sah wie eine Quittung aus, die Buchstaben waren lateinisch, aber die Sprache osteuropäisch –
Informace pro cestující
. Sie würde den Zettel mitnehmen,

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