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Weiss

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Titel: Weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taavi Soininvaara
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Sprachen, je mehr von ihnen man beherrscht, umso leichter ist es, sich neue anzueignen. Mit Intelligenz hat das nicht viel zu tun.«
    Schweigen senkte sich über den Tisch, als Kara das Besteck auf den Teller legte. Sie tranken Wein.
    »Denkst du die ganze Zeit an Vilma?«, fragte er schließlich.
    Kati Soisalo schaute nicht von ihrem Glas auf, sie nickte nur und begann zu weinen. Kara stand auf und nahm sie in die Arme, um sie zu trösten. Diesmal brauchte Kati Soisalo nicht den ersten Schritt zu tun.

18
    Sonntag, 15. August
    Jelena wachte auf, als jemand sie grob an der Schulter packte, das tat weh, instinktiv schützte sie ihr Gesicht mit den Händen. Sie wurde mit solcher Wucht aus dem Bett gezerrt, dass sie auf den Fußboden fiel und sich das Steißbein verletzte. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass sie weder zu Hause in Hinceşti war noch im Schulinternat, dieser Mann war nicht ihr Vater und auch nicht Cebotaru, der Lehrer. Diese Scheißkerle erkannte sie schon am Geruch, der eine stank nach Mist, der andere nach Schnaps. Das hier war der finnische Besitzer des Feriendorfes, ein merkwürdiger mürrischer Typ, der bis jetzt kein einziges Mal in ihr Zimmer und auch nicht in sie eingedrungen war. Der mochte anscheinend Jungs. Oder der finnische Polizist, der aussah wie eine Krähe, hatte ihm verboten, sie zu besuchen.
    Der Mann riss ihre Schränke so heftig auf, dass die Türen schepperten, dann nahm er alle Taschen und Beutel, die er fand, schmiss sie auf den Fußboden und brabbelte die ganze Zeit irgendetwas Unverständliches. Warum musste er sogar das Poster von Ashton Kutcher an der Wand abreißen?
    Jelena sah durch die offene Tür, wie Mirjeta mit dem Rucksack auf dem Rücken und einem Beutel in der Hand aus ihrem Zimmer in den Vorraum schlurfte. Mirjeta war die ängstlichste von ihnen, eine Albanerin, die aus einer guten Familie stammte und so schön war, dass sie ziemlich oft arbeiten musste. Es gab hier zweierlei Mädchen: Den einen hatte man eine Arbeitsstelle oder eine Heirat in Aussicht gestellt und sie mit diesen verlogenen Versprechungen aus ihrer Heimat weggelockt. Die anderen waren mitGewalt aus ihrer Heimat weggebracht worden. Sie gehörte zu den Betrogenen, Mirjeta zu den Entführten. Die wurden nach ihren Erfahrungen schlechter damit fertig, vielleicht, weil sie ja nicht einmal darauf eingestellt waren, ins Ausland zu gehen.
    Als der Mann das Zimmer verlassen hatte, zog sich Jelena aus, nahm Natalja, ihren Plüschelefanten, unter den Arm und trug den massiven Stuhl ins Bad. Sie schloss ab und verkeilte die Stuhllehne so fest wie möglich hinter der Tür. Dann langte sie mit der Hand auf den Spiegelschrank, zögerte einen Moment und griff schließlich nach dem Gegenstand, den sie dort mit Klebeband befestigt hatte.
    Jelena drehte die Dusche auf, wartete, bis das Wasser warm war, und setzte sich dann zusammen mit Natalja in die Duschkabine. Sie wollte keinen einzigen neuen, unbekannten Ort mehr sehen, sie hatten alle nur das eine zu bieten, was ihr erst der Vater, dann Lehrer Cebotaru und später zahllose ausländische Männer gegeben hatten. Längst war ihr klar geworden, dass es nur einen Fluchtweg gab.
    Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie das Brotmesser auf ihr linkes Handgelenk drückte. Das Messer war erstaunlich scharf, es schnitt ganz leicht in die Haut, man musste es tief hineindrücken, bis unter die Venen, dorthin, wo die Schlagader verlief. Das warme Wasser linderte den Schmerz, sie wimmerte leise, schloss die Augen, und die Hand um den Messergriff erschlaffte. Es tat nicht sehr weh. Wenn sie wieder dorthin ginge, wohin man sie schickte, müsste sie Schmerzen erleiden, die um ein Vielfaches größer wären. Sie wusste schon, was auf dieser Seite zu finden war, auf der anderen Seite konnte es zumindest nicht schlimmer sein. Am besten würde es ihr gefallen, wenn auf der anderen Seite gar nichts wäre, dann hätte sie endlich ihre Ruhe. Das erste Mal im Leben.
    Jelena fielen die Augen zu. In den nächsten Minuten würde sie noch niemand suchen, das reichte, danach könnte man sie nicht mehr gegen ihren Willen retten. Eines war jedenfalls sicher, insKrankenhaus würde man sie nicht bringen. Das wohltuend warme Wasser löste sie auf wie Zucker, sie fühlte, wie sie zerschmolz und dorthin floss, wo es besser war.
    ***
    Manas saß in einem Mietwagen, der auf einem Waldweg am Rande des Feriendorfes Hormajärvi stand, etwa sechs Kilometer vom Zentrum Lohjas entfernt. Er trug

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