Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
im Vorbeigehen ein dickes Buch aus einem der Regale. Mit dem schweren Folianten unter dem Arm überreichte er dem Wartenden, der Unterschrift geleistet hatte, ein gestempeltes und gesiegeltes Papier. Es folgte noch ein kurzer Disput mit einem weiteren Herrn, aber auch der durfte sich seiner Aufmerksamkeit nur für kurze Zeit erfreuen, der Kontorist machte tatsächlich Anstalten, sich dem nächsten zuzuwenden. Im Vorübergehen knallte er das dicke Buch auf die Balustrade.
„Das Schiffsregister, mein Herr“, war sein einziger Kommentar, dann war er auch schon verschwunden. Alles war im Werden und Franz begriff die rationelle Vorgehensweise der Kontoristen.
Er nahm das schwere Buch an sich und machte Platz für weitere Kunden, die abgefertigt zu werden wünschten. In einer weniger überlaufenen Ecke suchte er ein Plätzchen, an dem er die Einträge des Registers studieren konnte.
Er schlug es auf und verschaffte sich einen Überblick über die Systematik der Registratur. Dann suchte er nach dem passenden Zeitrahmen der letzten zwei Monate.
Die meisten Schiffe, die in Rostock beheimatet waren, liefen Nahziele im Ostseeraum an, deshalb konzentrierte Franz sich anfangs darauf, Fahrten mit Zielhafen Hamburg zu finden. Aber weil die Einträge den Schiffen und nicht ihren jeweiligen Zielhäfen zuzuordnen waren, blieb die Suche sehr mühselig. Er stellte ernüchtert fest, dass vornehmlich die Fracht beschrieben wurde. Passagiere hatten kaum die Planken der Schiffe geentert, die in den letzten Wochen hier vor Anker lagen. Er beschloss, seine Methode zu ändern. Er ging einfach jeden Passagiernamen akribisch durch, legte dabei keinen Wert auf Schiffsnamen und Zielhäfen. Er sagte sich, sollte er Johanns Namenszug finden, könnte er anhand der Eintragungen schnell herausfinden, wo das Schiff wieder festgemacht hatte.
Franz bemerkte, wie Unruhe und Aufregung nach ihm griffen. Ihn ließ die Begegnung im Spital nicht los. Küfers Bemerkung, als der freudig erregt geglaubt hatte, er habe Johann vor sich, hatte einen tiefen Eindruck hinterlassen. Küfers Tränen ebenso.
Irgendjemand war hinter Johann her. Hatte dieser Jemand den Bruder über das Meer getrieben?
Hinter den Fensterscheiben ragten die Masten der Schiffe auf. Sie wiegten sich sachte auf den kurzen Wellen des Hafenwassers. Hatte eines der Schiffe seinen Bruder fortgetragen?
Ich sitze hier, um das herauszufinden! Also konzentrier dich auf deine Aufgabe, dachte Franz ärgerlich. Er vertiefte sich erneut in das Register. Die Namen vor sich hin murmelnd ging er alle Passagiere durch. Aber er wurde von seiner Sorge nicht erlöst, der Name Johann von Klotz tauchte in den vielen Spalten und Zeilen nicht auf. Franz blätterte zurück, dehnte seine Suche sogar auf die Schiffsbewegungen im April aus, aber auch dort blieb seine Suche erfolglos.
Hatte Johann seine Spur verwischt? Hatte er sich unter einem falschen Namen eintragen lassen?
Verzweifelt schlug Franz das Buch zu. Er erntete prompt einen missbilligenden Blick eines Kontoristen. Den stummen Vorwurf beantwortete er mit einer Handbewegung, die zu verstehen gab, ihm sei sowieso alles egal. Sein betretenes Gesicht mochte ihn hinlänglich entschuldigen. Das Schiffsregister wurde schweigend entgegengenommen. Franz zuckte nur die Achseln. Wozu ein Wort darüber verlieren? Er glaubte, es interessiere hier ohnehin niemanden, was er empfand. Doch die anerzogene Höflichkeit gebot ihm, sich für die Überlassung des Registers zu bedanken.
Der Andrang im Kontor wurde immer stärker. Franz hatte einige Mühe, sich durch die Masse von Menschen nach draußen durchzuschlängeln.
Auf der Straße riss ein frischer Wind an seinem Hut. Über den Dächern pfiff es beträchtlich. Der Schrei einer Möwe, die in einer Bö schaukelte, ließ Franz aufblicken. Ihm geriet der Kirchturm, der ihm bereits am Vortag aufgefallen war, ins Blickfeld. Es schien, als ob sich dessen Spitze leicht neige. Aber Franz glaubte an eine Sinnestäuschung, so angespannt wie seine Nerven waren.
Überall vermutete er Raub- und Diebsgesindel, das vor einem feigen Mord nicht zurückschreckte. Obwohl er wusste, den Rostockern mit seinen Verdächtigungen Unrecht zu tun, musste er unentwegt an das Verschwinden des Bruders und die enthauptete Leiche denken. Jetzt, nach den herben Enttäuschungen, fieberte er dem Treffen mit Ernst entgegen, seinem einzigen Vertrauten in der Stadt. Ernst kannte die Untersuchungsergebnisse der Obduktion!
Aber bis zum Mittag blieb
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