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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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Rostocker Schiff nach Hamburg, Bremen, Rotterdam oder Le Havre gebracht worden war.
    Wenn Johann allerdings den Landweg nach Hamburg gewählt hat, überlegte Franz, so wird es mir ungleich schwerer fallen, seine Spur zu finden, vorausgesetzt, mein lieber Bruder hat überhaupt vorgehabt, die Heimat zu verlassen.
    Heimat, was ist das überhaupt? Er versuchte, den Begriff zu definieren, der für ihn immer abstrakt geblieben war.
    Der frühe Verlust der Mutter hatte seine Bindung zum Elternhaus nicht sehr fest werden lassen. Franz hatte seine Heimat im preußischen Heer gefunden. Die Geisteshaltung, die dort vermittelt wurde, entsprach den eigenen Idealen. Er hatte geglaubt, seine Erfüllung gefunden zu haben.
    Aber nicht einmal eine Woche auf Hohen-Lützow hatte genügt, um sein bisher so fest gefügtes Weltbild aus den Angeln zu heben. Er hatte sich dabei ertappt, Johann um das Erbe zu beneiden. Hohen-Lützow, das Kleinod inmitten Mecklenburgs, die Berührung mit der eigenen Familiengeschichte, die Begegnung mit dem Vater, auch wenn sie von Sorge überschattet gewesen war, hatten ihn verzaubert und daran erinnert, Heimat bedeute noch etwas anderes. Heimat bedeute, von Menschen umgeben zu sein, die ihn liebten und die er liebte.
    Franz versuchte sich in seinen Bruder hineinzuversetzen. Er stellte sich vor, wie er, im Bewusstsein die Familie in Sorge zurückzulassen, an der Reling eines Schiffes stand und den Gestaden ferner Ufer entgegenfieberte.
    Aber die Vorstellung zerfiel. Sosehr er sich auch daran klammerte, Johann weile in der Fremde – und das bei bester Gesundheit –, so unwahrscheinlich blieb der Gedanke.
    Johanna, die kleine Schwester, gesellte sich zum Bruder. Beide leisteten Franz in einträchtiger Stille Gesellschaft. Johann hatte ihr eine Spieluhr gekauft. Franz nahm das zierliche Ding zur Hand, das er am Nachmittag in einem Wäschefach des Kleiderschrankes gefunden hatte.
    Nein! Johann wollte nicht aus eigenem Antrieb von der Familie fort. Etwas hatte sich seinem Bruder in den Weg gestellt und es war nun an ihm, herauszufinden, wer oder was es war.
    Er stellte das Spielzeug vorsichtig zurück und löschte das Licht.
     
    Franz hatte kaum den großen Saal betreten, da schlug ihm der Geruch von Krankheit und Sieche entgegen.
    Er dachte an das mit Kampfer parfümierte Tüchlein, das noch in seiner Rocktasche steckte, war versucht, es augenblicklich hervorzuziehen und unter die Nase zu pressen. Allein der Anblick der vielen ausgezehrten Patienten hielt ihn zurück. Wie konnte er in einem Moment, in dem die bemitleidenswerten Menschen mit dem Tode rangen, nur an seine eigene Wahrnehmung denken!
    Franz hielt Ausschau nach Pflegern oder einem Arzt, aber er entdeckte niemanden, von dem man eine Auskunft erhoffen konnte. Zwischen den Lagerstätten der Kranken hockten ärmlich gekleidete Gestalten. Kummer verzerrte ihre Gesichter. Sie starrten vor sich hin, machten keinen gesünderen Eindruck als die eigentlichen Patienten: Angehörige, vermutete Franz. Sie standen den Lieben Trost spendend für den schweren Schritt zur Seite. Dabei mochten sie in einer seelischen Verfassung sein, in der sie des Trostes am meisten bedurften. Sie standen nicht unmittelbar vor der Erlösung. Ihnen blieben die Mühen und Sorgen des Alltags nicht erspart.
    Franz wandte sich schaudernd ab, war aber bereits bis zur Mitte des Saales vorgedrungen.
    „Johann?“
    Franz hörte die dünne Stimme in seinem Rücken. Seine Nackenhaare stellten sich auf.
    „Johann, bist du es?“
    Langsam drehte er sich um. Hatte er richtig gehört? Oder spielten ihm seine Sinne einen Streich.
    Ein junger, auf Haut und Knochen abgemagerter Mann blickte ihm mit fiebrigen Augen entgegen. Eine hagere, trotz der Jugend faltige Hand griff mit einer Kraft nach seinem Arm, die Franz nicht für möglich gehalten hatte. Er musste den Impuls unterdrücken, sich hastig loszureißen.
    „Johann, ich bin ja so froh, dass es dir gut geht und du zu mir gekommen bist“, flüsterte der Kranke. „Ich glaubte schon, sie hätten dich erwischt.“
    „Wer?“ Das Wort kam hart und schnell aus Franz’ Kehle. Er machte einen Schritt auf den Kranken zu, beugte sich über den Fiebernden, dabei riss er sich aus dessen Griff los, packte den Mann bei den Schultern und schüttelte ihn, ohne nachzudenken. Dabei schrie er wie von Sinnen: „Wer? Sag, wer wollte Johann erwischen!“
    Franz ließ erst von dem Kranken ab, als Tränen aus dessen Augenwinkeln sickerten, dann starrte er

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