Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Rückweg, ließ auch bald den dreieckigen Platz mit der Stadtwaage hinter sich. St. Marien ragte zu seiner Rechten auf. Mudder Schultzen hatte ihm erklärt, die Kirche stehe in der Nähe des Neuen Marktes, der auch Mittelmarkt genannt werde. Verwundert darüber, dass sich an den dreieckigen Platz, den er gerade verließ, wiederum ein solcher anschloss, verlangsamte Franz seine Schritte. Sollte das der Neue Markt sein, fragte er sich skeptisch. Den hatte er sich allerdings anders vorgestellt. Obwohl das Giebelhaus geradeaus einen sehr eleganten und repräsentativen Eindruck machte, dürfte es kaum das Rathaus sein, das ihm seine Wirtin als ein Gebäude mit sieben Türmen beschrieben hatte. Links und rechts des Doppelgiebelhauses mündeten Straßen. Franz hielt sich weiterhin rechts, blieb aber vor einer Wasserpumpe stehen, um seinen Durst zu löschen.
Frauen hasteten an ihm vorüber, die in riesigen Henkelkörben erstandene Kostbarkeiten nach Hause trugen. Ab und an hielten sie zum Plausch mit einer Bekannten inne. Als eine junge Frau mit einem Tragjoch zum Wasserholen neben Franz auftauchte, überließ er ihr bereitwillig die Wasserleitung. Er betrat eine kurze Straße, an deren Ende überdachte Buden auszumachen waren und so beschleunigte er seine Schritte, um in das Markttreiben einzutauchen.
Der Platz erschien geradezu gewaltig, obwohl die Markisen der Verkaufstände die Sicht versperrten. Franz wurde von links und rechts angesprochen, ob er von feilgebotener Ware, die pausenlos gelobt wurde, probieren möchte. Aber Franz wiegelte höflich ab, er hätte auch nicht gewusst, was mit frischen Lebensmitteln anzustellen sei, die allesamt einer Zubereitung bedurften, zu der er gar keine Möglichkeit in Johanns Wohnung besaß. Außerdem zählte er sich nicht zu den Kochkundigen. Doch er blieb hin und wieder stehen, schaute und hörte fasziniert zu, wie Kunde und Händler sich einig wurden, wie die Ware unter allerlei Versicherungen den Besitzer wechselte.
Er schwamm mit dem Strom Kaufwilliger über den Markt und bemerkte zu seiner Linken ein großes Gebäude, auf dem er die sieben Türme entdeckte. Der imposante Bau vermischte verschiedene Epochen und Stile der Baukunst. Den backsteinernen Schmuckgiebel mit seinen sieben Türmchen konnte Franz der Gotik zuordnen. Die rosettenförmigen Durchbrüche waren von gotischen Spitzbögen überwölbt. Jedoch die Zierde der Backsteinarchitektur schien den Ratsherren nicht mehr zeitgemäß gewesen zu sein. Ein barocker Vorbau sprang selbstbewusst aus der Häuserflucht hervor, getragen von mächtigen Pfeilern eines Bogenganges, der wiederum die Zahl Sieben aufnahm: Sieben Bögen taten sich zur Marktseite auf und boten jedem Vorbeieilenden ein Willkommen an.
Die Händler nutzen jedes Fleckchen ihres Marktplatzes zum Feilhalten ihrer Ware, selbstverständlich auch den Vorplatz des Rathauses. Nur um eine Wasserkunst im oberen Drittel des Platzes war ein Freiraum geblieben, der einem anderen Völkchen vorbehalten schien. Gaukler, Feuerschlucker und selbsternannte Zauberkünstler unterhielten dort Schaulustige, die sich gerne zum Narren machen ließen.
Ein Moritatensänger zog sein Publikum mit Gesängen über Mord und Totschlag in seinen Bann. Auch Franz konnte sich dem eindringlichen Vortrag nicht entziehen und blieb stehen. Begleitet von seiner Fiedel sang der Straßenkünstler:
„In den alten Ententeich
Blickt ein fahler Mond und gleich,
Nur ein Röcheln in der Nacht,
Wird der Förster umgebracht.“
Ein Mädchen assistierte und hielt zur Veranschaulichung der ungeheuerlichen Bluttat farbige Illustrationen in die Höhe. Das Publikum gab die erwünschten Geräusche des Erschauerns von sich.
„Dumpf nur war der Schuss zu hören
Und im Wald des Hirsches Röhren.
Mörder schlich auf leisen Sohlen,
Um den großen Sack zu holen.
Seht das Blut des Försters rinnt
Aus dem Sacke und geschwind
Wie er in den Sack gezwängt,
Wird er auch im Teich versenkt.
Modernd in dem Ententeiche
Liegt seitdem des Försters Leiche.
Mörder, den die Reue quält,
Hat gestanden und erzählt:“
Der macht es sich einfach, dachte Franz, aber er schmunzelte über die Abbildung des Missetäters, der reuig Rotz und Wasser heulte. Er bezweifelte jedoch, ob sich ein vom Gewissen Geplagter freiwillig stellen würde, um sich dann todsicher in der Galgenschlinge wiederzufinden. Franz kramte in seiner Rocktasche nach ein paar Münzen und hielt sie als Lohn für den Künstler
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