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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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fassungslos auf seine Hände. Er konnte kaum begreifen, sich so vergessen zu haben.
    Das Schluchzen der ausgezehrten Gestalt rührte ihn zutiefst. Er blickte sich hilflos um. Aber es gab niemanden außer ihm, der Anteil an dem Zwischenfall nahm. Franz schämte sich und beugte sich hinunter. Der Weinende suchte sein Gesicht zu verbergen. Franz griff verlegen nach der mageren Hand und drückte sie abbittend.
    „Entschuldige, ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren ist. Ich wollte dich nicht erschrecken oder dir wehtun, hörst du?“ Dabei streichelte er dem Fremden über das verschwitzte Haar. „Hör auf zu weinen, ich bin doch gekommen, um dich zu besuchen“, sagte Franz mit sanfter Stimme wie zu einem Kind.
    Die magere Gestalt bebte immer noch, aber das Schluchzen hörte allmählich auf. Franz drückte weiterhin die heiße Hand und wartete.
    „Wer bist du?“, flüsterte der Kranke nach einer Weile.
    „Ich bin Franz, Johanns Bruder.“
    Der junge Mann auf der Pritsche wandte sich dem Besucher zu. Sein Gesicht war von Krankheit und Angst entstellt, aber aus seinen glasigen Augen leuchtete eine Frage.
    Franz konnte dem Blick nicht standhalten und senkte die Lider. Er schüttelte nur energisch den Kopf, so als müsse er sich klarmachen, keine Antwort zu haben.
    „Wo – ist – Johann?“
    Diesmal hatte der Kranke nicht geflüstert, er schien seine gesamte Kraft für das Hervorpressen der drei Wörter gesammelt zu haben. Er hatte abgehackt gesprochen, jedes Wort betont und dabei seine fordernden Augen auf Franz gerichtet.
    Es ist verrückt, dachte Franz, da komme ich hierher, damit ich etwas über Johann erfahre. Stattdessen stehe ich vor einem Todkranken, der mir Fragen stellt. Ich hatte doch gehofft, er könnte sie mir beantworten .
    „Ich weiß es nicht, Frieder, ich bin in Rostock, um es herauszufinden“, sagte er leise.
    Frieder Küfer, bis auf die Knochen abgemagert, vom Fieber ausgezehrt, entließ Franz aus seinem Blick. Er starrte eine Weile an die Decke, dann schloss er die Augen.
    „Frieder?“ Franz erhielt keine Antwort. „Sag es mir! Wer hat Johann erwischen wollen? Ich muss ihn finden“, bat er beschwörend und verstärkte den Händedruck.
    Frieder rührte sich nicht. Die Hand des Kranken fühlte sich nicht mehr so heiß, dafür aber besorgniserregend schlaff an. Nur an Frieders gleichmäßigen Atemzügen war zu erkennen, dass noch Leben in ihm steckte.
    Franz wagte nicht, ihn ein weiteres Mal zu bedrängen, hoffte, Frieders Zustand sei ein erholsamer Schlaf.
    „Ich komme wieder, versprochen“, flüsterte er zum Abschied.
    Franz strebte dem Ausgang des Krankensaales zu, dabei beschleunigte er seine Schritte, als müsse er dem Tod und seinem giftigen Atem entfliehen.
    Noch am Vortag hatte er nicht ansatzweise daran gedacht, dass er nur durch wenige Häuserzeilen von Frieder getrennt sei. Und doch schien der junge Mann meilenweit entfernt. Er stand bereits an der Schwelle zu einem Reiche, das Franz noch lange nicht, so lange eben, wie es sich vermeiden ließe, zu betreten beabsichtigte.
    Auf der Straße atmete er hastig die Morgenluft ein, doch er meinte, die Ausdünstungen des Hauses und seiner Bewohner verfolgten ihn.
    Er schaute sich um. Vor ihm ragten in atemberaubender Mächtigkeit die Mauern von St. Marien auf, doch er war nicht in Stimmung, sich von steingewordener Gottesfurcht vergangener Generationen beeindrucken zu lassen.
    Er folgte einem Mütterchen in eine dunkle enge Gasse, durch die sich jeweils nur eine Person quetschen konnte. Plötzlich prallte er zurück. Vor ihm tat sich ein schmutzig trüber Fließ auf. Inhalt und Geruch des Grabenwassers waren geeignet, ihm das Frühstück anzuvertrauen, das er vor einer Stunde eingenommen hatte. Jetzt riss Franz doch das Leinentuch aus der Rocktasche und atmete gierig den Wohlgeruch des Kampferöles ein, der die faulige Luft und mit ihr den Brechreiz vertrieb.
    Aber es war nicht nur die Umgebung, die seinem Magen zusetzte. Frieders höchst besorgniserregende Feststellung belastete Franz, die pure Angst um den Bruder hatte ihn empfindlich gegen äußere Reize gemacht.
    Er balancierte über eine winzige Brücke, passierte ein Gässchen, wonach sich ein Hof öffnete. Auf eben diesem verschwand das Mütterchen in einem niedlichen Häuschen. Überhaupt mutete die Bebauung des Hofes wie eine Entlehnung aus Liliput an.
    Franz wähnte sich auf dem Heiligen-Geist-Hof. Heute morgen, als Mudder Schultzen ihm den kürzesten Weg zum Spital

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