Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
um den goldbetressten Hahn geschart und ihm voller Hingebung beim Krähen zugehört. War es die Uniform, die für die weibliche Faszination verantwortlich war oder eher die Begegnung mit dem Tod, die ein Soldat nicht scheuen durfte? Wollten Frauen Trost spenden oder die Einmaligkeit ausleben, weil sie wussten, der Soldat kehre vielleicht nicht unversehrt oder gar nicht mehr zurück?
Welch schrecklicher Gedanke! Johanna wurde sich mit einem Male bewusst, sie habe Franz mit ihrer kindlichen Eifersucht Unrecht getan. Wenn sie sich vergegenwärtigte, dass er in den Krieg gezogen war, wie hatte sie da Neid auf seine Stellung in Abendgesellschaften zulassen können? Sie beruhigte sich nur allmählich bei dem Gedanken, Franz sei gottlob heil zurückgekehrt.
Sie erkannte die eigene Unvollkommenheit und nahm sich auf der Stelle vor, an sich zu arbeiten. Und mit der Arbeit wollte sie sofort beginnen. Aber dazu musste sie erst einmal in die Gegenwart zurückkehren und Anteil an ihrer Umgebung nehmen, was sich zunächst als schwieriges Unterfangen herausstellte.
Vorerst vermieden es die Offiziere, ihre Aufmerksamkeit allzu offensichtlich den beiden jungen Damen zuzuwenden. Stattdessen überhäuften sie die Baronin mit Komplimenten, wobei niemand am Tisch übersah, am wenigsten Madame, dass die jungen Männer hin und wieder einen Seitenblick hinüber zu Margitta und Johanna wagten.
Ein Aufwärter half Johanna aus der ungewohnten Situation heraus, indem er ihr eine Speisekarte überreichte, die sie geschickt als Schutzschild gegen die männlichen Blicke benutze. Sie wollte sich hinter einer umständlichen Wahl aus dem reichhaltigen Speisenangebot eine Weile verstecken. Nur – Baronin von Plessen verfolgte andere Pläne.
„Wie Sie eingangs erwähnten, meine Herren, sind Sie seit längerem Badegäste. Könnten Sie das Prozedere der Auswahl eines Menüs etwas abkürzen und uns an Ihrer Entscheidung teilhaben lassen?“
Demonstrativ legte Madame die Speisekarte auf den Tisch und schaute ihre Tischherren erwartungsvoll an.
Insgeheim verwünschte Johanna die Leutseligkeit der Baronin, sie wollte sich nicht dem Diktat einer Empfehlung unterwerfen, sie hatte eigene Vorstellungen von der Zusammenstellung ihres Nachtmahls. Jedoch – wohlerzogen wie sie war – behielt sie ihre aufsässigen Gedanken für sich und wartete ab, wie die Entscheidung ausfallen würde. Dabei täuschte sie vor, die Karte angelegentlich zu studieren.
„Die Geschmäcker sind natürlich verschieden ...“
Johanna wagte es nicht, den Blick über den Kartenrand zu heben, meinte aber, Christian von Stetten sei der Wortführer gewesen. Seine Stimme hatte einen sympathischen Klang und nahm Johanna sofort für den jungen Mann ein. Sie lauschte gebannt.
„... ich kann Ihnen mit gutem Gewissen den Rinderbraten mit Meerrettichsoße und jungen Butterkartoffeln empfehlen, der Braten schmeckt einfach vorzüglich, er zergeht praktisch auf der Zunge.“
Sie war überrascht, die Karte sank wie von selbst auf den Tisch, als sie aufschaute. Johannas Blick traf direkt Stettens Augen. Erschrocken senkte sie sofort die Lider und lächelte stattdessen in sich hinein. Der junge Mann hatte ihre geheime Wahl getroffen.
„Sehr gut, dann nehmen wir Rinderbraten, obwohl ich nicht gerade für Meerrettich schwärme“, warf Madame ein, damit ihre Opferbereitschaft unter Beweis stellend. „Darf ich die Herren zu einem Glase Wein einladen? Sozusagen als Einstand in das Badeleben.“ Baronin von Plessen wartete die Einwilligung ihrer Gäste nicht ab, sondern gab einer vorübereilenden Bedienung ein Zeichen, dass sie ihre Aufmerksamkeit wünsche. Treffsicher wählte Madame einen zum Rinderbraten passenden Rotwein, der auch tatsächlich im Keller vorrätig war. Honigsüß lächelnd nahm sie das Gespräch wieder auf.
„Rittmeister von Trebbow, ich möchte doch zu gern wissen, wie Sie Ihre Tage im Bad gestalten, wo wir doch erst angekommen und gänzlich orientierungslos sind.“
„Darf ich meinerseits den Damen unsere Begleitung für die Fahrt an den Heiligen Damm anbieten? Es wäre Leutnant von Stetten“, Trebbow berührte den Oberarm seines Stuhlnachbarn freundschaftlich, „und mir eine ausgesprochene Freude, Sie um 7.00 Uhr am allgemeinen Treffpunkt, nämlich dem Posthause, in Empfang zu nehmen.“
Stettens Haltung drückte begeisterte Zustimmung aus.
„Ach, das wäre ja reizend!“ Madame war ehrlich entzückt, doch dann ging ihr der Sinn der Botschaft auf. „Sagten Sie
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