Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Uferböschung, dass er Blätter und Äste fortriss und die elastischen Stämme beugte. Im Wald wuchs sich das Rauschen vieler Millionen Blätter zu einem ohrenbetäubenden Lärm aus. Steins Hut verabschiedete sich auf Nimmerwiedersehen. Pferd und Hut zugleich im Zaum zu halten, war nicht zu meistern gewesen.
Kurz darauf stellte Stein erleichtert fest, dass die Männer den Schleetenzaun noch nicht geöffnet hatten. Doch die Tiere drängten sich bereits im schützenden Verband der Herde vor der Absperrung zum Driftweg zusammen. Wie befürchtet, stemmten sich mächtige Pferdebrüste gegen die Schleete, die unter der Belastung beängstigend nachgaben. Sollten sie entzwei gehen, bevor die Männer unter den Tieren einen geordneten Rückzug organisieren konnten, bräche hier gleich der Teufel los. Zum Glück trug die Leitstute noch ein einfaches Halfter, das Adolf mit Stricken in einen provisorischen Zaum verwandelte. Auch einige andere Muttertiere erhielten eine schnelle Seilzäumung.
Als Stein überzeugt war, alle reitenden Knechte haben ihre Tiere unter Kontrolle, gab er den Männern am Koppelzaun ein Zeichen. Sie zogen die Holzstangen aus ihrer Führung und gaben damit den Weg zum Gutshof frei. Stein reihte sich auf seinem Braunen neben der Leitstute ein. Er gab den anderen Berittenen zu verstehen, die gesamte Breite des Weges mit ihren Tieren einzunehmen, damit nicht ein vorwitziges Füllen vorpreschen und die mühsam aufrechterhaltene Ordnung sprengen konnte. So blieb nachfolgenden Tieren nichts weiter übrig, als sich dem Tempo der Führenden unterzuordnen.
Immer häufiger sandten Blitze ihre verzweigten Äste hinunter auf die Erde, machten die Nacht für Sekundenbruchteile zum Tag, so dass sich die Männer mit Handzeichen verständigen konnten. Das Donnergrollen schwang sich zu einem unheimlichen Dauergetöse auf. Sobald Blitze über den Himmel zuckten, folgten ihnen unabdingbar Donnerschläge nach. Manchmal meinten die Männer, sogar eine Art Druckwelle zu spüren, wenn sich der Schall mit aller Gewalt ausbreitete. Das Unwetter tobte ohne Unterlass und schien sich Hohen-Lützow als Entladungsgebiet auserkoren zu haben.
Stein war nervös. Er bezweifelte schon, ob es richtig sei, die wertvollen Zuchttiere ins Dorf zu holen. Die Luft schien statisch aufgeladen und er hatte den Eindruck, eine unbedachte schnelle Bewegung reiche aus, um einen Funken zu entzünden, der ein Inferno auslösen könnte. Er hörte die Rinder brüllen und stellte sich dazu die Herde vor, wie sie zusammengedrängt im Kreise lief.
Im Dorf war bereits alles auf den Beinen. Stein sah Mütter mit Säuglingen auf den Armen, Kleinkinder, die sich bei den Händen hielten und versuchten, mit der Mutter Schritt zu halten. Frauen und Kinder strebten der Kirche zu. Der Verwalter hoffte, der Küster würde auf das Glockenläuten, das üblicherweise bei Gefahr ertönte, noch so lange verzichten, bis die Herde im Stall war. Doch dann trug ihm eine Böe den aufgeregten Ton der Glocke zu, der sich allerdings im allgemeinen Lärm in Bedeutungslosigkeit auflöste.
Unterdessen hatte Hannes gute Arbeit geleistet. Die Scheune war erleuchtet. Weit geöffnete Torflügel hießen die Herde willkommen, die nun doch etwas chaotisch in den provisorischen Laufstall galoppierte. Die Knechte hatten ein paar transportable Raufen von einer benachbarten Koppel herbeigeschafft und vorsorglich mit Heu und Häcksel befüllt.
Einige Stuten wieherten aufgebracht, weil ihnen im Durcheinander der Nachwuchs aus den Augen geraten war, doch nach ausgiebigem Beschnuppern und Beäugen des neuen Zuhauses wurden die Heimstatt und das Futter dankbar angenommen. Es war eine alte Weisheit, dass ein voller Bauch erst einmal für Ruhe sorgte.
Stein freute sich nun doch über die gelungene Aktion. Er ließ die Stalllaternen einsammeln, den Braunen aus der Scheune führen und in seine Box schaffen, schließlich das Gebäude mit seinem kostbaren Inhalt sorgfältig verschließen. Auf dem Hof stand ihm unvermittelt die hochgewachsene Gestalt des Grafen gegenüber. Fast wäre er erschrocken zurückgewichen, weil ein grüner Blitz seinem Dienstherrn eine unnatürliche Gesichtsfarbe verpasst hatte. Zudem trieben Sturmböen ihr Spiel mit dem gräflichen Haar, das es aussah, als wänden sich die Schlangen der Medusa um sein Haupt.
„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich der Graf besorgt, dabei musste er gegen die Gewalt von Donner und Sturm anbrüllen.
Stein nickte. „Ja, Euer Gnaden, will
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