Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
beieinanderlagen. Er hatte den zerborstenen Zahn darin aufbewahrt, den ihm ein Feldscher aus dem Oberschenkel gepult hatte. Kieferknochen, zersprengt in nadelspitze Pfeile, waren ihm noch wochenlang aus der Wunde geeitert. Er hatte den Zahn nicht einfach weggeworfen, weil er glaubte, er gehöre zu einem seiner Freunde. Otto von Traunstein galt nach der Schlacht als gefallen. Seine Leiche wurde nie gefunden.
Mudder Schultzen hatte in ihrer guten Stube den Tisch gedeckt. Aus der Kaffeekanne entstieg der köstliche Duft echten Bohnenkaffees. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, sogar Plätzchen gebacken und Weizenbrot aufgeschnitten. Franz sah etwas übernächtigt, aber schmuck in seiner Uniform aus, die er am heutigen Sonntagmorgen wie selbstverständlich angelegt hatte. Er griff freudig zu, als seine Wirtin Erdbeermarmelade zum Probieren anbot.
„Seien Sie nicht so bescheiden“, meinte sie, „die Marmelade muss gegessen werden. Wäre schade drum, wenn sie mir verdirbt.“
„Hm, köstlich, erinnert mich an meine Kindheit. Bei Großmuttern gab es auch immer Erdbeermarmelade. Aber die Frauen haben auch Saft aus den Früchten gekocht. Der war so dick, den konnte man getrost mit Wasser verdünnen“, schwärmte Franz und leckte sich in Erinnerung der Genüsse versonnen über die Lippen.
Mudder Schultzen trug unter ihrer alten Schürze längst den Sonntagsstaat. Sie mochte der eigenen Geschicklichkeit nicht mehr so recht vertrauen.
„Na, ist wohl gestern spät geworden, was?“, spekulierte sie. Sie hatte ihre Brille nicht auf der Nase, so kniff sie abschätzend die Augen zusammen.
Waren es die verräterischen Stufen gewesen, ihr nächtliches Knarren? Oder die dunklen Ringe unter den Augen ihres Frühstücksgastes, die sie bewogen hatten, zu fragen? Franz wusste es nicht.
„Hm ...“, meinte er mit vollem Mund, worin er sich noch einen Happen hineinstopfte, damit er nicht Rechenschaft über die Umstände seiner Heimkehr ablegen müsse.
„Wusste gar nicht, dass die Tannerschwestern Wäsche ausliefern“, bemerkte sie beiläufig.
Franz blieb prompt der gewaltige Brocken im Halse stecken. Er musste ihn mit einem ordentlichen Schluck heißen Kaffees hinunterspülen.
Mudder Schultzen freute es, ihren Gast nach ihrer Bemerkung etwas munterer anzutreffen. Zumindest starrte er seine Wirtin an.
„Wer?“ Franz schluckte abermals.
„Nun tun Sie mal nicht so überrascht“, rügte sie, „die beiden Mädchen, die Ihnen gestern die Wäsche gebracht haben.“
„Wieso Tanner? Ich denke, die heißen Küfer!“
Mudder Schultzen riss nun ihrerseits erstaunt die Augen auf. „Die haben Ihnen gesagt, sie heißen Küfer?“, fragte sie entrüstet.
Franz wusste nicht recht, was er erwidern sollte. Er entschloss sich nur zu einem stummen Kopfschütteln. Sein Eingeständnis schien die Wirtin zu beruhigen. Sie wirkte immer noch nachdenklich, als sie vor sich hin plapperte: „Mag sein, dass die Tanner mal mit einem Küfer verheiratet war, aber die Mädchen sind vom Tanner, das weiß ich genau.“ Wieder kniff sie die Augen zusammen, diesmal nahm ihr Gesicht einen verschlagenen Ausdruck an.
„Wie kommen Sie denn auf Küfer?“, wollte sie wissen.
„Ich kenne den Bruder der Mädchen, deshalb schloss ich von seinem Namen auf den der Kinder“, antwortete er wahrheitsgemäß.
Die Wirtin schien enttäuscht. Sie hatte wohl gehofft, die Geschichte kläre sich nicht so schnell und ohne jeden Skandal auf. Kaffee ohne Klatsch schmeckte nun mal nur halb so gut.
„Ich war übrigens dabei, als Tanner seine Zukünftige traf, sehr dramatisch!“, bemerkte Mudder Schultzen. Sie knabberte an einem Plätzchen und beobachtete, ob ihr Frühstücksgast vor Neugierde zerspringe.
Franz tat ihr den Gefallen und zog fragend die Brauen hoch.
„Sehr dramatisch“, wiederholte sie genüsslich und weidete sich an seinem erwartungsvollen Gesicht. „Standen beide am Pranger, nebeneinander!“, enthüllte sie noch, bevor sie die Schilderung erneut unterbrach, diesmal trank sie einen Schluck Kaffee. Gewiss wollte sie ihrem Gast Gelegenheit geben, sich das Unerhörte ein weiteres Mal bestätigen zu lassen.
Franz wusste, was er zu tun hatte. Er riss seine Augen in gespielter Überraschung auf und fragte: „Am Pranger? Um Gottes willen, wie sind die beiden an den Pranger geraten?“
Offenbar geriet seine Frage nicht in die gewünschte Richtung, jedenfalls wirkte die Wirtin für einen Augenblick irritiert.
„Ähm, ja, das weiß ich
Weitere Kostenlose Bücher