Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
sehr, weil seine Mutter Tanner kennen und lieben gelernt hatte und damit ein Martyrium für den kleinen Sohn aus erster Ehe begann?
Möglich, aber warum sollten sich daraus Konsequenzen für den Kopflosen und Johann ergeben, verdammt!
„Sie sollten nicht fluchen, schon gar nicht am Tage des Herrn“, rügte Mudder Schultzen, allerdings in einem gutmütigen Ton. Sie war aufgestanden und begann den Tisch abzuräumen. Franz war verlegen. Hatte er nur den letzten Fluch oder noch weitere Gedanken ausgesprochen? Die vielen Ungereimtheiten und ungeklärten Zusammenhänge fraßen an seiner Substanz wie eine Schar hungriger Seidenraupen an einem Maulbeerblatt. Die ständige gedankliche Auseinandersetzung mit Johanns Rolle in dem Kriminalstück belastete ihn. Den Bruder zu suchen, damit man ausschließen könne, ihm sei etwas zugestoßen, war etwas völlig anderes, als Nachforschungen anstellen zu müssen, weil Johann eventuell vor der eigenen Verantwortung geflohen war. Franz brachte die Sache auf den Punkt und fragte sich beklommen, ob Johann schlichtweg untergetaucht sei und demzufolge gar nicht gefunden werden wollte.
Franz riss sich von seinen Gedanken los, sprang auf und hastete der Wirtin hinterher, bepackt mit diversen Teilen ihres guten Porzellans. Mudder Schultzen muss schon bessere Zeiten erlebt haben, dachte er angesichts des feinen durchscheinenden Materials, aus dem das Geschirr gefertigt worden war.
Sie war von seinem ungeschickten Balanceakt mit ihrem Service gar nicht angetan.
„Um Gottes willen, nur nichts fallen lassen! Mein Seliger würde mir nie verzeihen, wenn mir auch nur ein Teller zerspringt“, zeterte sie. „Geben Sie bloß die Tasse her, die Sie so keck am kleinen Finger baumeln lassen.“
Ihre knotigen Hände griffen behutsam nach dem zerbrechlichen Stück und stellten es beinahe ehrfürchtig auf dem Küchentisch ab. Franz fand die Aufmerksamkeit für ihr weißes Tafelgold übertrieben. Aber sie nahm ihm Teller für Teller mit größter Vorsicht aus der Hand und achtete darauf, die Ränder nicht aufeinanderklappern zu lassen. Nur nicht Mona Lisas Lächeln durch einen hässlichen Sprung den Zauber nehmen!
Franz starrte auf das Konterfei der lieblich lächelnden Dame und fragte ohne Überleitung: „Gab es in Rostock so jemanden wie Leonardo da Vinci?“
Die Wirtin schaute auf. Seine Frage und sein starrer Blick auf ihr Geschirr brachten sie doch aus dem Konzept.
„Was hat denn dieser Vinci mit meinem Service zu tun?“, fragte sie argwöhnisch. Sie schob sich vor das aufgetürmte Porzellan.
Franz bemerkte ihr eigenwilliges Gehabe nur im Unterbewusstsein. Er fragte sich gerade, warum ihm das Dekor der Teller nicht schon während des Frühstücks aufgefallen war. Außerdem registrierte er im Hinterkopf, er könne sich ihrer hohen Wertschätzung sicher sein. Sonst hätte sie nicht ihre Schmuckstücke aus dem Schrank geholt und seiner Unbekümmertheit im Umgang mit Zerbrechlichem überlassen.
„Oh, nichts weiter“, versuchte er sie zu beruhigen und deutete auf das Geschirr, „die Porzellanmaler der Manufaktur da haben ein Gemälde des Meisters sehr kunstfertig kopiert, das Lächeln seiner ‚Mona Lisa‘ beeindruckend auf Ihre Frühstücksteller gebannt.“
„Ach, ein Künstler ist das! Soso, na mit solchen Leuten kenne ich mich nicht aus. Da sollten Sie lieber die honorigen Herren befragen, in deren Kreisen Sie ansonsten verkehren“, erwiderte sie etwas grob.
Franz hob fragend die Brauen.
„Das können Sie übrigens gleich heute Morgen nach dem Gottesdienst tun“, schlug sie in versöhnlicherem Ton vor. „Die Herren Professoren gehen auch in meine Kirche. Die wissen sicher über diesen Dingsda, über diesen Maler Bescheid.“
„Welcher Pfarrgemeinde gehören Sie an?“, fragte Franz ohne Absicht, ihrer Antwort eine besondere Bedeutung beizumessen. Eigentlich war es ja egal, in welche der vier Rostocker Pfarrkirchen er sich zum Gottesdienst anschloss. Vielleicht war die Wirtin aber auch ein Schäfchen, das sich an Sonntagen in St. Nikolai einfand.
„Mein Pastor predigt im Dom, in St. Jakobi“, verkündete sie stolz. „Mein Seliger gehörte gewissermaßen zu den Fahrensleuten. Jakobus galt auch als Patron der Schiffer, müssen Sie wissen.“
Franz überlegte noch, was Mudder Schultzen mit der Einschränkung – gewissermaßen – sagen wollte, beziehungsweise zu verschweigen beabsichtigte. Aber die Wirtin lenkte seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung.
„Vor
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