Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Mann!“
Ernsts Ausdruck veränderte sich. Nicht einmal die sparsame Kerzenbeleuchtung konnte seine Bestürzung verbergen. Ernst war offenbar zu derselben Betrachtung der Dinge gekommen, die Franz bereits seit längerem zu schaffen machte.
„Du glaubst also“, begann Ernst, er musste sich jedoch noch einmal räuspern, bevor er den Kloß im Hals loswurde, „Opfer und Erpresser sind ein und dieselbe Person?“
„Das ergäbe einen makabren Sinn“, stimmte Franz grimmig zu.
„Aber ... aber irgendetwas stimmt da nicht“, beharrte Ernst. „Wie kann ein Fremder von der Gruft wissen, beziehungsweise wie hätte Johann wissen können, der Fremde sei mit ... mit dem Angebot einverstanden gewesen. Dein Bruder kannte den Inhalt des zweiten Briefes doch gar nicht?“
Franz rechnete Ernst die Bedenken hoch an, doch trösten konnten die Überlegungen des Freundes nicht. „Das bereitet mir weniger Kopfzerbrechen“, meinte er, „aber was du eingangs sagtest, die Sache mit der Zeit, die erscheint mir bei weitem entlastender. Johann war nicht mehr in der Stadt, nicht mehr in seiner Wohnung“, berichtigte er sich, „als der Mord geschah.“
„Wir wissen leider nicht, wann ihn der erste Brief erreicht hat. Erinnerst du dich, wo du ihn gefunden hast?“
Franz überraschte die Frage. Er dachte an den Zustand der Wohnung und die unzähligen Abschriften, Mitschriften und Rechnungen, die dort ausgebreitet lagen. Er hatte dem lateinischen Brief keine besondere Bedeutung beigemessen, er hatte doch keine Ahnung gehabt, welche Botschaft er enthielt. Wie sollte er sich daran erinnern, wann und wo er ihn gefunden hatte. Er schüttelte den Kopf.
„Nein! Bedaure! Warum sollte das eine Rolle spielen?“
„Nun ja, für Johann dürfte der Brief eine besondere Bedeutung gehabt haben, da wäre es doch nicht abwegig, ihn auch an einem besonderen Ort aufzubewahren. Hat der Sekretär kein Geheimfach?“
„An dir ist wirklich ein Schnüffler verloren gegangen. Aber nachdem ich weiß, dass Johann erpresst worden ist, werde ich die Wohnung noch einmal gründlich untersuchen. Ansonsten habe ich alle Schriften ausnahmslos im Sekretär gefunden. Sogar die Unterseiten der Schubladen hab ich unter die Lupe genommen – nichts.“
„Hm, schade, meinst du, wir haben trotzdem eine Chance, Johanns Verhältnis aufzuspüren? Im Umfeld der Dame müsste doch der Erpresser auszumachen sein.“
„Richtig, ich verspreche mir etwas von der Befragung seiner Kommilitonen. Vielleicht kommt sie ja auch zur Beerdigung? Was meinst du?“, fragte Franz.
„Das glaube ich kaum. Der Standesunterschied zwischen Frieder und Johann könnte kaum größer sein. Gewiss hat er es nicht für nötig gehalten, ihr Frieder vorzustellen.
Außerdem ist es nicht ungefährlich einen Dritten in ein verbotenes Techtelmechtel einzuweihen. Aus meiner Sicht ist es schon ungewöhnlich, dass Johann sich überhaupt mit Frieder abgegeben hat.“
„Es war wohl eher umgekehrt. Du erinnerst dich? Frieder hat Johann Nachhilfe erteilt.“
„Ja richtig, der Herr segnet auch die Unbemittelten mit der Gabe der Intelligenz. Ich habe in meiner Studienzeit auch einige sehr begabte Kommilitonen gehabt, denen Stiftungen oder Stipendien das Studium ermöglichten. Ich frage mich, wie Frieder die hohen Gebühren hat aufbringen können.“
„Du meinst doch nicht etwa, Frieder stecke hinter dem Drohbrief?“
„Wer weiß das so genau? Wir sollten alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.“
Franz drängte sich die nachmittägliche Begegnung mit Frieders Schwestern auf. Plötzlich war Ernsts Verdacht gar nicht mehr so abwegig. Was, wenn mit Abberufung der eigene Tod gemeint war? Abberufen von Gott!
„Johann hat in eine Leichengesellschaft eingezahlt. Den Vertrag hat er für Frieder abgeschlossen. Die Gesellschaft schüttet bei dessen Tod eine Summe von 60 Talern aus.“
„Was?“ Ernst starrte Franz an. Der Mund stand ihm offen, erst als er sich dessen bewusst wurde, klappte er ihn hastig zu. Doch bevor er etwas erwidern konnte, klopfte es ungeduldig. Unwillkürlich fuhren die Männer zusammen.
„Das wird meine Droschke sein“, vermutete Franz und stand auf. Ernst begleitete ihn auf den dunklen Flur.
„Darf ich dich bitten, noch einen Blick auf die anderen Schreiben zu werfen?“, fragte Franz. „Mir wäre wohler, wenn wir uns bereits vor dem Begräbnis über den Inhalt der Episteln im Klaren wären.“
Ernst suchte nach Franz’ Hut und fluchte leise, als er sich sein Schienbein
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