Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
bleichen jungen Frau in den Sinn gekommen, die er in Begleitung des Mädchens aus der Küche gesehen hatte.
Wie hatte Elsi das Mädchen genannt?
Änne? Anna? Nein, Anne! Ja, an der Seite von Anne hatte er die bleiche Schönheit gesehen. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, aber er würde Stein gleich treffen, den konnte er fragen.
Obwohl, dachte er, Stein ist vielleicht nicht der kompetenteste Gesprächspartner, wenn es um junge Frauen geht. Vielleicht ..., nein, nicht vielleicht, bestimmt sollte ich die Köchin aushorchen. Bei Elsi scheinen sich alle Gerüchte und Geschichten zu bündeln. Ihrem Gutdünken bleibt es überlassen, wem die eine oder andere Neuigkeit anvertraut wird.
Nun, Franz meinte, er habe sich bei Elsi bereits als wertvoller Informant ausgezeichnet und war überzeugt, nun seinerseits bedacht zu werden. Er zog sein verschwitztes Hemd aus und machte sich frisch für das Abendessen. Stein hatte den Dorfgeistlichen eingeladen.
Der Pastor! Wie konnte ich den vergessen, dachte Franz. Der Pastor war nun mal kraft Berufung für ver(w)irrte Schäfchen zuständig und die junge Frau auf dem Flur war ihm sehr verwirrt vorgekommen. Umso besser, dachte er, zwei Eisen im Feuer sind besser als eines.
Franz knöpfte den Rock zu und ging hinunter ins Speisezimmer.
Gastgeber Stein hatte sich in gutes Tuch gehüllt und führte mit einem Herrn, den ein Talar als Geistlichen auswies, ein angeregtes Gespräch. Die Herren standen an der Anrichte und sprachen dem Pflaumenschnaps zu. Dabei fachsimpelten sie darüber, wie man am besten bei der Destillation des edlen Tropfens vorgehen solle. Die beiden waren so vertieft in ihr Zwiegespräch, dass sie Franz nicht bemerkten. Sie fuhren wie zwei ertappte Sünder auseinander, als der junge Mann plötzlich vor ihnen stand.
„Darf ich vorstellen“, sagte Stein hastig, „Herr Pastor August Warkentin, die gute Seele unserer Kirchgemeinde.“
Der Pastor, ein untersetzter älterer Herr mit Stirnglatze und Nickelbrille, schaute Franz freundlich und interessiert an. Er trug das Haar, das ihm geblieben war, kurz geschnitten und nach herrschender Mode nach vorn gekämmt, so dass sein Gesicht von grauen Fransen umrahmt wurde. Es erinnerte Franz an ein kleines Äffchen, das er einmal in einer zoologischen Veröffentlichung abgebildet gesehen hatte, war aber davon überzeugt, Pastor Warkentin blättere gewiss nicht in solchen Abhandlungen. Aber damit nicht genug, auch die Backenbärte des Geistlichen, die sorgfältig gestutzt und gekämmt waren, trugen zu der geradezu frappanten Ähnlichkeit bei, und Franz biss sich in die Wange, um ein Grinsen zu unterdrücken. Weil der Pastor so offensichtlich mit der Mode ging, vermutete Franz, einen weltoffenen Mann vor sich zu haben.
„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Pastor.“
„Ganz meinerseits, ganz meinerseits.“
Nach Austausch der in Gesellschaft üblichen Floskeln gegenseitiger Wertschätzung bat Hermann Stein seine Gäste in die Bibliothek. Franz war von den Ereignissen des Tages eingenommen gewesen, so dass er noch keine Muße gefunden hatte, alle Räumlichkeiten des herrschaftlichen Wohnbereiches in Augenschein zu nehmen. Die vielen dunklen Bücherschränke, die bis an die hohe Zimmerdecke reichten, in denen sich Leder gebundene Folianten Rücken an Rücken drängten, überraschten ihn. Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und Stein ließ sich hinreißen: „Haben Sie vermutet, Ihre Ahnherren frönten nur dem Bauerlegen, der Jagd und dem Einfordern des jus primae noctis?“
Pastor Warkentin fuhr auf. Die letztgenannte Erwähnung unmoralischen Verhaltens musste dem Kirchenmann schon aus beruflichen Gründen bedenklich erscheinen. Als Hüter der christlichen Moral fand er, es sei angezeigt, in die Unterhaltung einzugreifen, damit man auf ungefährliches Terrain gelange.
„Ich habe in der letzten Zeitung, die mir mein Studienfreund aus Güstrow zu schicken pflegt, einen sehr interessanten Artikel gefunden und ich frage Sie, meine Herren, ob ich den hier zum Besten geben darf?“ Praktischerweise hatte der Pastor die besagte Zeitung auch gleich bei der Hand.
Die Männer machten es sich in Polstersesseln bequem.
August Warkentin rückte seine Brille zurecht und begann ohne Umschweife vorzulesen:
„Der am 27. Juni gegen die Regine Siggelkow aus Kluess wegen ausgezeichneten Betrugs II. Grades beim Amt zu Güstrow zur öffentlichen Verhandlung gekommene Strafrechtsfall, welcher mit der Verurteilung der
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