Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
er mir so eine komische Frage, ich bin doch kein Experte für Somnambulismus, dachte er. Doch dann fiel ihm eine selbst erlebte Geschichte ein und hatte sie schnell bei der Hand: „In einem Kriegswinter war ich mit einigen Offizieren meines Regiments in einem kleinen Gasthof einquartiert. Als wir eines Morgens erwachten, wunderte sich Leutnant Voss über sein durchnässtes Bettzeug am Fußende.
Er vermutete einen Streich, den wir ihm gespielt hätten, und glaubte unseren Unschuldsbeteuerungen nicht im Mindesten.
Als wir jedoch in die Gaststube kamen, empfing uns die Wirtin schlecht gelaunt. Sie schimpfte, der Trottel, der unbedingt in aller Herrgottsfrühe barfuß im Schnee ums Haus laufen müsse, hätte sich wenigstens die Füße abputzen können, bevor er wieder in die Stube eintrete. Voss stand wie vom Donner gerührt da. Er hatte keinerlei Erinnerung an seinen Spaziergang. Von da an bat er uns, die Kammer stets zu verriegeln, in der er schlief.“
„Sehr interessant, von Ihren Abenteuern als Offizier müssen Sie uns unbedingt noch mehr erzählen. Ich hoffe, wir haben öfter die Gelegenheit zu einem Plauderstündchen. Wie lange gedenken Sie auf Hohen-Lützow zu bleiben?“
Der Pastor setzte ein gütiges Lächeln auf, um seine Neugier etwas zu überdecken, ob mit Franz’ Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes in seiner Kirchgemeinde zu rechnen sei.
„Oh, ich habe keine Eile, ich werde die Ankunft meines Vaters abwarten müssen und wir ...“, Franz unterbrach sich und nickte Stein zu, „ ... erwarten den Grafen nicht vor Mittwoch.“
„Das trifft sich gut. Sie sind beide am Sonntag zu einem Kaffeekränzchen zu mir ins Pfarrhaus eingeladen. Meine Frau backt einen vorzüglichen Kirschkuchen.“
„Ich danke für die Einladung, Hochehrwürden, aber wir werden an diesem Sonntag nicht kommen können. Baron von Borowsky ist Ihnen zuvorgekommen.“
„Ah, der Herr Baron, da hat meine Frau mit ihrem Kuchen natürlich keine Chance. Ich vermute, es geht auf die Jagd?“ Ohne die Bestätigung abzuwarten, sprach der Pastor weiter: „Ich habe gehört, Baron von Borowsky habe das waldreiche Anwesen in der Nachbarschaft nur erworben, um seiner Jagdlust zu frönen.“
Der tadelnde Unterton blieb weder Stein noch Franz verborgen. Glücklicherweise musste Stein die eigene Jagdleidenschaft nicht rechtfertigen. Im richtigen Moment erschien ein Hausmädchen und verkündete schüchtern, es sei angerichtet.
Es hatte den Tisch mit feinem Porzellan und poliertem Silberbesteck eingedeckt. Mehrere Kristallgläser pro Gedeck verliehen der Tafel einen wahrhaft fürstlichen Glanz.
Der Pastor sprach ein kurzes Tischgebet und da August Warkentin es gewohnt war, den größten Teil des Tages mit seinen Gemeindegliedern Platt zu sprechen, verwunderte es weder Stein noch Franz, dass er sich dabei des Niederdeutschen bediente:
„De een hett Hunger un keen Broot.
De anner hett Broot un mag nich eten.
Wi hebbt Hunger un hebbt Broot.
Laat uns dat Danken nich vergeten!“
Elisabeth protzte mit all ihrem Können. Als Vorsuppe wurde eine klare Geflügelbrühe gereicht, in der Farbkleckse wie Möhrenstifte und Erbsen schwammen.
Der Abend war bereits fortgeschritten und Franz spürte ordentlichen Hunger. Seinen Tischgenossen schien es ähnlich zu gehen, denn die Suppe wurde schweigend eingenommen, nur gelegentlich war genüssliches Schlürfen zu hören. Als Hauptgericht trug man gebratenen Karpfen mit Erbsen, Brechbohnen und gebuttertem Blumenkohl auf. Die Kartoffeln hatte Elsi in ein raffiniertes Püree verwandelt, das gewiss mit Butter und Eigelb verfeinert worden war.
„Gott sei gedankt für die Experimentierfreude unserer Köchin!“
Stein erntete für sein unorthodoxes Dankgebet zwar erneut einen schiefen Blick vom Pastor, aber nachdem alle gekostet hatten, stimmten Franz und Warkentin in die Lobpreisung des Nachtmahls ein.
„Ich habe Karpfen bisher nur gedünstet als ‚Karpfen Blau‘ gegessen, aber ich muss zugeben, der edle Fisch schmeckt gebraten auch vorzüglich. Kommt der aus den Teichen, die wir heute im Wald gesehen haben?“ Franz musste sich mit einem „Hm“ zufriedengeben, Stein vertilgte mit verzücktem Gesicht Speckbohnen.
Das Hausmädchen trug die Nachspeise auf – eine rote Beerengrütze mit Sahnehäubchen – währenddessen Elisabeth im Speisezimmer erschien. Unverzüglich steuerte sie auf den Verwalter zu und raunte ihm etwas ins Ohr. Stein erhob sich daraufhin und warf seine Serviette unwillig auf
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