Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Beschuldigten zu 8-jähriger Arbeitshausstrafe schloss, gibt einen neuen Beleg hierfür, wie leicht es der Verstellungskunst gelingt, die Sinne des zum Glauben an das Übersinnliche und Wunderbare stets geneigten Volkes zu täuschen.“
An dieser Stelle fühlte sich Stein zu einer Zwischenfrage herausgefordert: „Warum, mein lieber Warkentin, ist das Volk stets geneigt, auf Scharlatane hereinzufallen? Bietet der Glaube an Gott nicht erschöpfende Hingabe.“
Der Pastor blickte von der Zeitung auf. Über seine Brillenränder hinweg fixierte er den Verwalter mit einem entnervten Blick. „Nun, mein lieber Herr Stein, ich denke, es mangelt dem einfachen Volk einfach an Zufriedenheit.“
Das hatte gesessen! Stein war zusammengezuckt, als der Pastor der Blasphemie Einhalt geboten und zugleich den Adel und damit auch Stein als verlängerten Arm des Grafen für den Zustand der Gesellschaft verantwortlich gemacht hatte. Stein sank in seinem Sessel zusammen.
Pastor Warkentin fuhr genüsslich fort:
„Der genannten Siggelkow, einer schon in ihrer Jugend an Krämpfen, in späteren Jahren selbst an Epilepsie und Hysterie leidenden Person, wie auch ihre äußere Erscheinung schon erkennen lässt, ist es nämlich gelungen, sich eine geraume Zeit als Somnambule und Wundertäterin anstaunen zu lassen und unter dieser Maske die Leichtgläubigkeit der Menschen zu ihrem Vorteile auszubeuten.
Nachdem sie anfänglich die Rolle der Somnambule mit genauer Beobachtung und Nachahmung aller dem somnambulen Zustande eigentümlichen physischen Erscheinungen vor einem kleinen Kreise eingespielt hatte, hatte sich der Ruf ihrer claire voyance, ihrer prophetischen und wundertätigen Gabe, bald über ihren Wohnort hinaus verbreitet und – man sollte es kaum glauben – in der kurzen Zeit, welche ihr von der Polizeibehörde für ihr betrügerisches Spiel gelassen wurde, gegen 9 000 Leichtgläubige und Neugierige aus der Nähe und Ferne herbeigelockt, von denen keiner zur unrechten Zeit kam, weil es der Siggelkow nicht schwer fiel, des Tages dreimal und noch öfters in ihre simulierten Krämpfe zu fallen, in ihre Verzuckungen zu geraten, und in diesem Zustande die ihr nach ihrer Behauptung durch höhere Eingebung gemachten Enthüllungen über höhere Dinge und die Zukunft ihren Hörern und Hörerinnen wieder mitzuteilen.
Obgleich diese vorgeblichen Enthüllungen, z. B. ihre Beschreibung des Himmels, dass auf zweien der zwölf Stufen, welche zu ihm führen, und zwar auf der sechsten und neunten Stufe, Karl der Große und der Alte Fritz säßen, das Gepräge der Albernheit und Überspanntheit an sich tragen, konnte ihr Ruf als Hellseherin noch keineswegs vernichtet werden; es musste ihrem Unwesen erst gerichtliche Einschreitung ein Ende machen.
Alle Ehre macht aber der verurteilten Betrügerin der listige Elan, mit dem sie die leichtgläubig Menge für ihren Eigennutz zu gewinnen wusste. Sie behauptete nämlich, da ihr in ihrem somnambulen Zustande Gott es eingegeben habe, den Menschen zu eröffnen, dass bei Gott das in Güstrow zu gründende Armenhaus in hoher Gnade stehe und dass ihr Gott befohlen habe, eine Büchse in ihrem Zimmer zur Sammlung milder Gaben aufzustellen. Der Ausstellung der Büchse konnte auf diese Weise der Zufluss kleiner und größerer Einlagen von dem leichtgläubigen Volke nicht entgehen und es ist nach einer Durchschnittsberechnung hergestellt, dass die Spenden die Summe von 1000 Reichstalern erreichten. Es ist aber auch konstatiert, dass die Siggelkow hiervon wirklich 117 Reichstaler an das Armenhaus zu Güstrow abgeliefert hat.
Wenn auch die Siggelkow keine besondere Berühmtheit als Somnambule erreicht hatte, so dürfte sie doch verdienen, mit in die Liste der so vielen schon als Betrügerinnen entdeckten Somnambulen aufgenommen zu werden.“
Der Pastor sah auf und blickte in die Runde. „Sie sehen also, meine Herren, das leichtgläubige Volk ist bereit, von dem Wenigen, worüber es verfügt, zu geben, vorzugsweise denen, die es noch schlechter getroffen hat.“
Stein war beschämt. Er hatte etwas anderes erwartet und bereute seinen leichtfertigen Einwurf, der ihm jetzt geistlos erschien. Er richtete eine unverbindliche Frage an Franz, dem das Thema des Pastors auch nicht sonderlich zu behagen schien.
„Mondsüchtigkeit – was meinen Sie, ob die Menschen, die tatsächlich darunter leiden, aufgeweckt werden dürfen, wenn man sie beim Schlafwandeln antrifft?“
Franz starrte Stein ungläubig an.
Warum stellt
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