Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
bedeutungsvolle Pause. „Am schlimmsten ist es Mann gegen Mann mit dem Seitengewehr, wenn man dem Gegner in die Augen sehen muss, bevor man ihn absticht!“
„Franz!“ Ernst starrte entsetzt auf Hans-Georg, der inzwischen bleich geworden war. Der Inhalt der randvollen Kaffeetasse in Ernsts Händen schlug heftige Wellen.
„Vielleicht sollten Sie doch für die Gnade der späten Geburt dankbar sein“, gab Franz Köster jun. noch mit auf den Weg, bevor er ihn aus seinem finsteren Blick entließ. Er hob sein Schnapsglas und stürzte das billige Zeug grimmig hinunter. Anschließend achtete er darauf, den Mund nicht angewidert zu verziehen.
Hans-Georg ließ sich ohne jede Erwiderung dazu verleiten, es seinem Gegner in dem subtilen Gefecht gleichzutun. Er verschluckte sich prompt an dem scharfen Zeug. Mit dem Ausdruck im Gesicht, den Franz sich nur vorgestellt hatte, musste er sich fluchtartig entschuldigen.
Ernst schaute ihm besorgt nach. „Bist du wahnsinnig? Wie kannst du so auf den Jungen losgehen“, stellte er Franz zur Rede.
Der grinste in sein Glas und dachte an Steins kleine Lehrvorführung in Sachen Hochprozentigen. „Ihm ist nicht klar, nur ein Junge zu sein. Er hat mich regelrecht herausgefordert“, verteidigte er sich.
„Und? Hat es dir etwas eingebracht, außer dein Ego aufzupolieren?“
„Nein.“
„Na großartig!“ Ernst schlürfte kopfschüttelnd seinen Kaffee und spähte über die Tasse hinweg in eine dunkle Ecke des spärlich ausgeleuchteten Zimmers. Dort hing hinter einem verglasten Rahmen ein Orden. Wie auf Kommando strebten Ernst und Franz der Ecke zu, um die Auszeichnung näher in Augenschein zu nehmen.
„Verliehen für außerordentliche Tapferkeit, 20 September 1813“, las Ernst vor. „Der darauf folgende Winter dürfte ihm zum Verhängnis geworden sein.“
„Schwindsucht“, stellte Franz nüchtern fest, der wusste, Ernst gebe sowieso keine Auskünfte über die Leiden seiner Patienten. „Was hat es mit dieser Krankheit eigentlich auf sich?“
„In neuerer Zeit setzt sich der Begriff Tuberkulose durch, hergeleitet aus dem lateinischen Wort Tuberkel. Als Tuberkel bezeichnen wir Mediziner winzige Knötchen, die wesentliche Merkmale der Schwindsucht sind. Sie können alle möglichen Organe befallen. Leider lassen sich die Knötchen in der Regel erst bei einer Leichenöffnung feststellen. Am geläufigsten ist die Lungentuberkulose. Deshalb nimmt man auch an, die Erkrankten nehmen das Contagium mit schlechter Luft auf.“ Ernst schaute sich vielsagend um. „Das eigentlich Hinterhältige an der Tuberkulose ist, dass erkrankte Menschen, auch Tiere, vor allem Hornvieh, gesund erscheinen, obwohl sie längst die Knötchen in sich tragen. Die kapseln sich einfach ab. Schon während meiner Studienzeit habe ich verkalkte Tuberkel gesehen, aber der Professor erklärte uns, das Studienobjekt habe sich bei einem banalen Sturz das Genick gebrochen, ansonsten habe es sich bester Gesundheit erfreut. Bei Verschlechterung der Lebensumstände können die Knötchen aufbrechen, und dann ihre zerstörerische Kraft entfalten.“
„Nun, ein eiskalter Winter im Feld, schlechte Ausrüstung und ein unterernährter Körper dürften ausgereicht haben“, fasste Franz zusammen. Er erwartete keine Bestätigung von Ernst. Frieders armselige Lebensumstände umgaben sie sehr anschaulich. Ein von offener Tuberkulose geschwächter Mensch konnte sich unter solchen Verhältnissen nicht auskurieren, auch Frieder musste das gewusst haben.
„In welche Fakultät hat er sich eigentlich eingeschrieben?“, fragte Franz, seinem letzten Gedanken nachhängend.
„Medizin, in Pharmakologie war er der Primus.“
Die Männer drehten sich verblüfft um. Hans-Georg, inzwischen mit unbedenklichem Teint, stand hinter ihnen und hatte auf die rein rhetorische Frage geantwortet. Er hielt einen Teller mit dampfendem Gulasch in der Hand und schob sich einen Brocken Fleisch in den Mund. „Köstlich, den musst du probieren, Ernst“, sagte er ungeniert mit vollem Mund. Er machte ein Gesicht, als könnte er kein Wässerchen trüben, von seinem Erstickungsanfall war er offenbar genesen. Mit dem Kinn deutete er seinem angeheirateten Vetter die Richtung, wo die Köstlichkeit ausgegeben wurde. Ernst verstand den diskreten Hinweis und entfernte sich.
Kaum war er verschwunden, da brach Hans-Georgs mühsam aufrechterhaltene Selbstsicherheit zusammen. Nachdem der Junge den zu groß geratenen Brocken hinuntergewürgt hatte, fing er an
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