Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
über ihren Köpfen ließ Mudder Schultzen zusammenfahren.
Franz sprang auf. „Den Schlüssel!“, zischte er. Seine fordernd ausgestreckte Hand brachte die Wirtin auf die Beine. Sie hastete in die Küche und kramte mit fahrigen Bewegungen in einer Schublade herum. Ihre Finger zitterten, als sie eine Rolle Garn von einem Schlüsselbund entwirrte. Endlich hatte sie es von dem lästigen Band befreit und warf es ihm zu.
„Welcher Schlüssel ist für welche Tür“, fragte er entnervt.
„Die Tür neben Johanns Zimmer“, flüsterte sie und untersuchte das Bund mit den Augen. „Der hier!“ Sie zeigte auf einen Schlüssel. „Nein, der“, korrigierte sie sich. „Ich komme mit“, entschied sie schließlich, als sie sah, dass Franz sein Stillet aus dem Stiefel zog. Sie nahm ihren Stock zur Hand und machte Miene, ihm zu folgen.
„Ich weiß nicht recht“, meinte er besorgt, aber er hielt sich nicht länger mit Diskussionen auf.
Vorsichtig öffnete er die Tür zum Flur und spähte hinaus. An diesem trüben Tag war das Treppenhaus noch schummriger als sonst. Franz lauschte.
Nichts!
Schnell war er an der Treppe und überlegte kurz, ob er sich Mühe geben sollte, die Stufen möglichst leise zu nehmen. Aber wie wäre das zu bewerkstelligen gewesen, wo es ihm während der vergangenen Woche nicht ein einziges Mal gelungen war, das Monstrum lautlos zu erklimmen. Deshalb verzichtete er auf jede Vorsicht und stürmte die Stufen hinauf. Mudder Schultzen hatte einen gebührenden Abstand zwischen sich und ihren Untermieter kommen lassen und verfolgte nun mit langem Hals, was passierte.
Franz blieb vor Alans ehemaligem Zimmer stehen und lauschte an dessen Tür. Es drang kein Geräusch auf den Flur, nur den eigenen Atem konnte er hören. Behutsam probierte er an der Klinke, ob sich die Tür öffnen ließe. Sie bewegte sich keinen Zoll, doch das musste nicht heißen, dass sie tatsächlich abgeschlossen war. Er brauchte nur an die eigenen und Ernsts Anstrengungen zu denken, um das benachbarte Zimmer zu verlassen.
Unterdessen schob sich Mudder Schultzen Stufe für Stufe vor.
Franz zögerte nicht länger. Er steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn herum. Ein leises Schnappen zeigte ihm an, dass es tatsächlich verschlossen gewesen war, was ihn einen Moment irritierte, doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
Er riss die Tür auf und stellte sich kampfbereit dem vermeintlichen Gegner. Nichts geschah, nur graues Licht fiel auf die Galerie. Niemand stürzte herbei, um sich in zweifelhafter Absicht auf ihn zu werfen. Nunmehr stürmte er in das Zimmer und verschwendete keine Zeit damit, der Wand hinter sich länger als notwendig den Rücken zuzukehren. Er hatte angenommen, dort laure jemand links oder rechts der Tür, um über ihn herzufallen. Wieder nichts!
Er entspannte sich etwas. Schon während er ins Zimmer gestürmt war, hatte er mehrere wichtige Details erhascht: Es gab keine weitere Tür, keine Nische und auch keinen Wandschirm, hinter dem ein Eindringling hätte Deckung nehmen können. Franz stand in einer anspruchslos möblierten Kammer, die neben einem schmalen Bett, einem Tisch mit zwei Stühlen und einem Kleiderschrank nur noch einen Waschtisch aufzuweisen hatte.
Dagegen wohnte Johann luxuriös.
Franz fiel auf die Knie und spähte unters Bett. Dort trieben nur ein paar Wollmäuse ihr Spiel mit dem Luftzug, den seine plötzliche Bewegung erzeugt hatte. Die herumwirbelnden Staubflocken bestätigten seinen ersten Eindruck. Mudder Schultzen investierte offensichtlich wenig Zeit in die Pflege dieser Behausung.
Der massive Kleiderschrank geriet in sein Blickfeld. Von hier unten nahm der sich recht beachtlich aus. Franz erwog, ob ein Mann darin Zuflucht gesucht haben könnte, als ein erstickter Schrei und höllisches Gepolter ihn unverzüglich auf die Füße brachten.
Auf der Galerie wäre er fast über Mudder Schultzen gestolpert, die nicht weit von Johanns Tür auf den Dielen lag.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte er hastig. Er griff nach ihrer Hand und half ihr auf, behielt aber den ersten Treppenabschnitt und den unteren Flur im Blick. Nach dem Lärm im Haus zu urteilen, war der ungebetene Gast dabei, die Stufen hinunterzupoltern. Dann bemerkte er, dass Johanns Tür offen stand. Urplötzlich packte ihn eine unbändige Wut.
„Mir ist nichts passiert“, presste die Wirtin zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Franz begnügte sich damit, obwohl er Zweifel hegte, ob sie die Wahrheit gesagt habe.
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