Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
mehr hier?“
Die Wirtin schnaubte verächtlich. „Ich kann es mir nicht leisten, Hungerleidern Unterschlupf zu gewähren. Ich muss auch sehen, wo ich bleibe. Lapérouse konnte mir noch nicht einmal das Feuerholz bezahlen. Wir hatten nämlich einen sehr kalten Mai“, erklärte sie. „Als Ihr Bruder nicht mehr für die Schulden seines Freundes aufkam, setzte ich ihn vor die Tür.“
„Das war vermutlich vor ungefähr vier Wochen“, stellte Franz fest.
Sie nickte. „Ja, aber kurz darauf war er noch einmal in meinem Haus. Er kam die Treppe herunter.“ Zwei ihrer Finger tippelten über die weiße Damasttischdecke. „Ich hab ihn vom Hof aus gesehen. Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, den Abtritt sauber zu machen, der Herr ist mein Zeuge, dann hätte mich nichts aufgehalten, ihm zu folgen.“
„Und wozu?“, fragte Franz höchst interessiert.
„Um herauszufinden, wo er untergekommen ist, natürlich!“ Ihre schlaffen Wangen röteten sich vor Aufregung. „Er schuldet mir immer noch Geld“, eröffnete sie ihm empört. „Außerdem ist es nicht so einfach, mitten im Semester einen neuen Studiosus zu finden. Seitdem steht das Zimmer leer.“ Ärgerlich starrte sie an die Holzbalkendecke ihrer guten Stube, als ob ihr Blick die massive Konstruktion durchdringen und das verwaiste Zimmer in Augenschein nehmen könnte.
„Warum haben Sie nicht mit einer Anzeige versucht, des Mannes habhaft zu werden?“, warf Franz ein.
Sie riss abwehrend die Hände hoch. „Nein, nein! Mit den Gerichten will ich nichts zu tun haben! Wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, dass ich mit solchen Kleinigkeiten Polizei und Gerichtsbarkeit bemühe, dann mietet sich überhaupt niemand mehr bei mir ein. Bisher habe ich solche Angelegenheiten immer irgendwie regeln können.“
„Dann ist es also nicht das erste Mal, dass Ihnen ein Student etwas schuldig geblieben ist“, folgerte Franz.
„Nein, das kommt öfter vor. Aber ein Brief an die Eltern hat noch nie seine Wirkung verfehlt. Eigentlich sind mir Studiosi mit Stipendien die Liebsten, weil die Stiftung die Miete übernimmt. Aber ich verfüge leider nicht mehr über Beziehungen, die mir so einen jungen Mann einbringen könnten.“ Bedauernd hob sie die Schultern.
„Sie haben die Anschrift seiner Eltern?“, fragte Franz freudig erregt.
„Wenn ich die hätte, wäre ich sicher nicht in Versuchung geraten, die Verfolgung aufzunehmen, während ich nach Schei ...“ Sie brach ab und zog angewidert die Nase kraus, als sei der Fäkaliengestank mit der Erinnerung zurückgekehrt.
„In der Schreibstube der Universität ist er unter meiner Adresse registriert, was mir selbstredend nicht weitergeholfen hat.“
Enttäuscht rührte Franz in seinem Tee.
„Aber gestern bin ich ihm auf der Spur geblieben!“
Franz merkte auf und sah sie erwartungsvoll an. Mudder Schultzen saß ihm blitzenden Auges gegenüber und er hätte schwören können, sie habe sich vor seinen Augen um Etliches verjüngt.
„Er ist, wie ich befürchtet habe, in die Eselföter eingebogen. Als er sich meinem Haus näherte, zögerte er. Der Mann hat wohl doch ein schlechtes Gewissen – und Respekt.“ Sie grinste vielsagend und befingerte den Stock, der griffbereit an ihrem Stuhl lehnte. Womöglich diente er ihr nicht nur als Stütze, sondern auch als probates Druckmittel.
Seltsam, dachte Franz, die Frau wirkt tatsächlich einschüchternd .
„Unter meiner Fensterbrüstung ist er abgetaucht. Stellen Sie sich das mal vor, der große Kerl mit Zylinder, weißen Handschuhen und seinem Spazierstock, kriecht im Sonntagsstaat buchstäblich an meinem Haus vorbei. Hab mich mächtig zusammenreißen müssen, nicht laut loszugackern.“
Franz griente, doch ihn interessierte der Fortgang der Geschichte viel zu brennend, als dass er ihr gestatten durfte, die Schilderung über Gebühr auszuschmücken.
„Wo ist er hin?“, fragte er knapp.
„Er ist in den Heiligen Geist Hof eingebogen, über die Faule Grube rüber; im Durchgang muss er mitbekommen haben, dass ich hinter ihm her bin. Auf dem Ziegenmarkt habe ich ihn aus den Augen verloren.“
„Er wollte bestimmt ins Spital“, sagte Franz mehr zu sich selbst.
„Er sah aber nicht krank aus“, gab sie zu bedenken.
„Nein, er wollte vermutlich einen Freund besuchen. Doch er kam zu spät.“
„Oh“, brachte sie heraus, die Hände sanken ihr in den Schoß.
„Dann ist er Ihnen also entwischt“, stellte Franz ernüchtert fest.
Sie nickte stumm. Ein jähes Poltern
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