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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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Er hetzte zur Treppe und nahm mit jedem Schritt gleich mehrere Stufen.
    Unten machte sich eine dunkel gekleidete Gestalt an dem schweren Torflügel zu schaffen. Die Mühe, die der Eindringling damit hatte, genügte Franz, um ihn einzuholen. Er packte die Gestalt beim Arm, bevor sie durch einen Spalt schlüpfen und auf die Straße entwischen konnte.
    „Hiergeblieben, Freundchen!“, keuchte er atemlos.
    Doch das „Freundchen“ hatte offenbar anderes im Sinn. Es entwand mit überraschender Schnelligkeit den schmächtigen Oberarm aus Franz’ Umklammerung. Daraufhin beeilte Franz sich, seine Waffe im Stiefel verschwinden zu lassen, damit er mit beiden Händen zupacken konnte. Er setzte dem Flüchtenden in Richtung Hof nach.
    „Schließen Sie den Torweg ab!“, brüllte er Mudder Schultzen zu.
    Inzwischen riss der Verfolgte die Hoftür auf und blieb für den Bruchteil einer Sekunde wie angewurzelt stehen. Die vermeintliche Freiheit entpuppte sich als Falle: Der Hinterhof war von allen Seiten mit hohen Mauern umschlossen.
    Vor lauter Verzweiflung kletterte der Eindringling auf den Apfelbaum, der seine Zweige über die Aschegrube breitete.
    Franz schlenderte herbei und schaute grimmig nach oben. „Komm runter!“, befahl er dem Jungen, der sich mit der Gewandtheit eines Äffchens in den bedenklich schwankenden Ästen bewegte. Angstvoll geweitete Augen starrten herunter. Der Junge, Franz schätze ihn auf höchstens 14 Jahre, wirkte tatsächlich wie eines jener Äffchen, deren Kletterkünste auf Jahrmärkten zur Schau gestellt wurden.
    Das menschliche Äffchen schüttelte energisch den Kopf.
    „Komm her, sage ich, oder soll ich dich runterschütteln wie einen reifen Apfel“, bot Franz an. Damit hatte er wohl eine Idee geliefert, denn zur Antwort wurde er mit Äpfeln beworfen. Franz war den grünen Geschossen geschickt ausgewichen, aber mit seiner Beherrschung war es nicht mehr weit her.
    Mudder Schultzen fand sich ein. Inzwischen dürfte auch sie bemerkt haben, dass man es mit einem unterlegenen Gegner zu tun hatte. Sie schlurfte unter den Baum und nahm das neue Früchtchen dort oben in Augenschein.
    „Ich kenne dich“, zeterte sie, „wenn du nicht willst, dass ich einen Wachtmeister herbeihole, dann kommst du auf der Stelle von meinem Baum und erzählst mir, was du hier zu suchen hast!“
    Ihre Drohung wirkte offenbar. Dennoch konnte sich der Junge nicht entschließen, der unfreundlichen Aufforderung nachzukommen. Eingeschüchtert klammerte er sich an den dicken Ast, den er sich als Zuflucht erwählt hatte, und blinzelte nervös.
    „Haben Sie eine Baumsäge?“, fragte Franz laut und deutlich.
    „Was, Sie wollen doch nicht ...“ Sie brach ab. Franz’ Zwinkern gab ihr unmissverständlich zu verstehen, sie möge mitspielen.
    „Tja, wenn ich es recht bedenke“, holte sie theatralisch aus, „dann stört mich der dicke Ast mit der bösartigen Wucherung schon lange!“ Mit finsterem Blick deutete sie mit ihrem Stock auf den Jungen. „Ich werde die Säge holen gehen.“ Folgerichtig wandte sie sich ab und schlurfte in Richtung Schuppen.
    „N-nein, ich k-komme runter“, kam es aus dem Geäst.
    Franz postierte sich so, dass er des Jungen habhaft werden konnte, sobald der in seine Reichweite gelangte. Er pflückte ihn, beim Hosenbund und Hemdkragen packend, vom Stamm.
    Der Junge hatte seinen Widerstand vermeintlich aufgegeben, doch Franz war auf der Hut.
    „Wo soll ich ihn hinbringen, Frau Schultz?“, fragte er förmlich.
    „Ins Aborthäuschen mit ihm!“ Sie zeigte unerbittlich auf den windschiefen Verschlag. „Es ist zwei Wochen her, seitdem ich mich mit dem Eimer befasst habe.“
    Franz hatte kein Mitleid, er bugsierte den Jungen, der sich mit Händen und Füßen sträubte, in das wenig einladende Häuschen.
    „Da bleibst du so lange drin, bis der Wachtmeister hier ist!“, drohte sie, und fuchtelte mit dem Stock.
    „A-aber, Sie sagten d-doch, S-sie holen die Gendarmen nicht, wenn ich runterkomme“, stammelte der verängstigte Junge, bereits Franz’ Schienbeine ins Visier nehmend.
    „Denk gar nicht erst daran“, sagte Franz trocken. Er hatte den verzweifelten Blick bemerkt.
    „Ich habe gesagt, ich hole sie nicht, wenn du runterkommst und gebeichtet hast“, keifte die Wirtin. „Ich höre!“
    Franz missfiel es, mit welcher Selbstverständlichkeit er zum Handlanger und Vollstrecker ihres Hausrechtes degradiert worden war. Aber letztlich hatte er das Rollenspiel vorgeschlagen, außerdem schien die

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