Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
dem Ritt gab es keine vernünftige Alternative. Lapérouse nickte. Ihn schien dieselbe Einsicht zu seiner stummen Bestätigung veranlasst zu haben.
„Wo hast du die Gäule her?“, fragte Franz anerkennend. Er hatte auch im Dunkeln erkannt, ein edles Tier unter sich zu haben.
„Trebbow und Nostitz waren so freundlich, mir ihre Pferde zu überlassen.“
Überrascht schaute Franz auf.
„Keine Sorge“, entgegnete Christian auf die unausgesprochene Frage. „Sie glauben, dass mein Bursche die Tiere zu einem besonderen Hufschmied bringt, der nur in aller Frühe arbeitet“, stellte er grinsend fest.
„Und wo soll das sein?“, argwöhnte Franz.
„Wo auch immer, es muss nicht vor dem Frühstück sein. Ich bin sicher, Hufschmiede arbeiten zu jeder Tageszeit“, verkündete Christian. „Was ist mit ihm?“, wollte er wissen, dabei deutete er mit dem Kopf auf Lapérouse.
„Das Bajonett ist ihm seitlich zwischen die Zähne, vermutlich auch durch die Zunge gefahren.“ Franz verzog das Gesicht, als litte er große Schmerzen. „Aber ich kenne jemanden, der ihm helfen wird“, sagte er mit einer Spur Mitgefühl. „Was ist mit der anderen Angelegenheit?“ Er hatte Christian aufgetragen, dem Vater eine Mitteilung zukommen zu lassen.
„Alles erledigt“, bestätigte Christian.
Ein kurzer Schenkeldruck genügte und Franz’ Reittier wandte sich in die gewünschte Richtung. Die Offiziere verzichteten darauf, das Pferd ihres unfreiwilligen Begleiters zu führen. Die Aussicht auf Hilfe in einer Situation, die für den Verletzten ausweglos schien, war Garantie genug, dass Lapérouse keinen Fluchtversuch wagen würde. Die beiden Soldaten wussten aus eigener Erfahrung, wenn man große Schmerzen ertragen musste, war man am allerwenigsten gern allein.
Der Mond schüttete sein silbernes Licht über die drei Reiter aus, die nun den Weg nach Rostock einschlugen.
In nördlicher Richtung, dort, wo sich Himmel und Erde berühren, schimmerte ein heller Streifen, der den Sternen darüber den Glanz nahm.
Ein Todesfall und andere Umstände
Ernst saß in seinem Untersuchungszimmer im Schein einer Lampe und einiger Wachslichte über ein Buch gebeugt. Die Platte seines Schreibtisches war unter einer Vielzahl Folianten begraben.
Bereits am frühen Nachmittag hatte er seiner Frau zu verstehen gegeben, dass es heute keinen Zweck habe, auf ihn zu warten. Charlotte hatte geseufzt und sich damit abgefunden, dass sich ihr vielbegabter Gatte einmal mehr bis zum Morgengrauen mit Tüfteleien beschäftigen wollte. Ernst hatte sie in dem Glauben gelassen. Er wollte nicht, dass auch sie sich noch Sorgen über Dinge machte, die ihn zur Genüge quälten.
Das Buch, das er studierte, hatte nichts mit mechanischen Apparaten zu tun. Er war vertieft in die Vorschriften der neuesten hannöverschen Pharmakopöe, nach der auch im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin alle Rezepturen zu dispensieren waren. Er überprüfte zum wiederholten Mal die Angaben des amtlichen Arzneibuches mit der Rezeptur, die er Gottfried Kägler nicht zum ersten Mal verordnet und für einen Apotheker aufgeschrieben hatte. Um ein Weniges erleichtert konnte er abermals keine Abweichungen feststellen, dennoch lastete der Zweifel an der eigenen Kunst auf ihm. Er erinnerte sich ungern an die Szenen, die sich am Sonntagnachmittag abgespielt hatten, aber die Bilder drängten sich ihm beständig auf.
Der Patient lebte noch, als Ernst in das Haus des Kranken gerufen worden war.
Kägler lag mit blau verfärbten Lippen und hochrotem Kopf, bekleidet mit Hose, Hemd, Kamisol und Hausmantel, auf seinem Bett und rang verzweifelt nach Luft.
Frau Kägler stand händeringend im Zimmer, über ihre Wangen rannen Tränen. Sie wagte jedoch nicht, näher als eine gute Armlänge an die Lagerstatt ihres Mannes heranzutreten, dessen hervorquellende Augen unverwandt auf sie gerichtet waren. Ihr blasses Gesicht unterschied sich deutlich von dem ihres Gatten.
Käglers Füße waren bloß. Auf den ersten Blick erkannte Ernst, sein Patient drohe nicht nur zu ersticken, sondern leide auch an einem akuten Gichtanfall. Das erste Zehengelenk war wulstig angeschwollen, stark gerötet und vermutlich heiß. Ernst kümmerte sich jedoch nicht um die Zehe. Er eilte auf Kägler zu und zerrte ihm die Halsbinde herunter, öffnete Mantel, Weste und Hemd und presste sein Ohr an den freigelegten Brustkorb. Was er hörte, beunruhigte ihn zutiefst. Was er sah, trug noch weniger zu seiner Beruhigung bei. Der
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