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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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die Bewachung des vermeintlichen Fluchtweges befohlen worden war, machte unmissverständlich klar, dass die Badegäste, auch wenn sie Uniformen trugen, bei der dienstlichen Angelegenheit nicht länger gelitten wurden.
    Sie mussten sich fügen, wenn sie sich die Frage ersparen wollten, welches besondere Interesse sie hier festhalte. Die Männer blinzelten, als sie ins Freie traten. Wind hatte die regenschweren Wolken aufgerissen. Bisweilen frischte er böig auf und trieb die graue Masse zügig in Richtung Süden vor sich her. Die Sonne lugte über die Alleebäume hinweg, die den Weg zum Heiligen Damm beschatteten.
    Außerhalb des Kammerhofes bezogen Franz und Christian unauffällig Beobachtungsposten. Bäume einer Streuobstwiese, die vor der Klostermauer ihre alten knorrigen Äste ausbreiteten, gaben ihnen ein wenig Deckung. Franz hatte sich einen kümmerlichen grünen Apfel gepflückt und warf ihn wie einen Spielball von einer Hand in die andere. Seine Nervosität war geradezu greifbar.
    „Mein Gott, warum dauert das so lange. Sie müssten ihn doch längst gefunden haben“, stöhnte er.
    „Wir können nichts anderes tun, als warten“, mahnte Christian. Doch auch er knetete die Hände ineinander, nur um irgendetwas zu tun. Beide vermieden es, das Undenkbare auszusprechen.
    „Falls sie ihn nicht finden, müssen wir uns um ein paar Pferde kümmern“, sagte Franz, ohne den Blick vom Weg zu wenden. „Kannst du zwei brauchbare Tiere auftreiben?“ Bei seiner Frage kalkulierte er ein, dass Christians Pferd im Stall des Logierhauses bereitstand.
    „Ich denke, das ist nicht die eigentliche Schwierigkeit“, bemerkte Christian vorsichtig. „Im Marstall des Großherzogs stehen eine Menge Tiere, die gegen gutes Geld für Tagesausflüge zur Verfügung stehen.“
    „Tagesausflüge, ssst ...“, wiederholte Franz spöttisch, das eigene Vorhaben belächelnd. Im Verlauf eines einzigen Tages hatte er sich zum zweiten Male schützend vor einen Straffälligen gestellt. In letzter Zeit hatte er sich öfter gefragt, wie es um die eigene Rechtschaffenheit bestellt war. Heiligte der Zweck jedes erdenkliche Mittel? Im Krieg schon, dachte er, und beschloss, sein Verhalten fortan unter der Maßgabe zu betrachten, in eine Art Privatkrieg gezwungen worden zu sein, wo er billigend in Kauf nehmen musste, auch geltendes Recht zu brechen. Doch was war mit Christian und Ernst? Durfte er seine Freunde weiterhin so bedenkenlos einbeziehen?
    „Da kommen sie!“
    Christians Ruf riss Franz aus seinen unerfreulichen Gedanken, lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die Straße. Die Soldaten marschierten ohne Tritt in Zweierreihen. Sie eskortierten keinen Gefangenen, das war sogar aus der Entfernung von mindestens vierzig Schritt zu erkennen.
    Franz und Christian gaben ihre Deckung auf, wechselten auf die andere Seite der Straße und gingen auf den Trupp zu. Der Amtshauptmann führte ihn nicht an. Franz holte tief Atem. Er glaubte, die Obliegenheiten des Amtes zwangen den Mann, auf dem Hof zu bleiben. Hatte es bei der Festnahme einen Unfall gegeben, ähnlich der Angelegenheit mit dem gelösten Schuss?
    Franz forschte, ob in den Gesichtern der Soldaten der Nachklang eines solchen Ereignisses stand. Die Schirme der Tschakos beschatteten die Augen der zumeist jungen Männer, so dass Franz beim besten Willen nichts aus den unbeweglichen Gesichtern herauslesen konnte.
    Als der letzte Soldat an ihnen vorbeimarschierte, griff Franz nach Christians Arm. Beide starrten auf ein aufgepflanztes Bajonett, das im Schein der Abendsonne blutrot glänzte.
     
    Die Zeit von Licht und Schatten war vorüber. Konturen begannen sich aufzulösen und einheitliches Grau löschte alle Farbe aus. Von der Kraft der Sonne zeugte nur noch ein lachsfarbenes Glühen am Abendhimmel. Aber an wolkenlosen Sommerabenden blieb es im Norden lange hell, zu lange für Franz’ Dafürhalten, um die Dunkelheit abzuwarten.
    Er sorgte sich zunehmend um den einzigen Zeugen, der ihm von Johanns Duellabenteuer berichten konnte. Ihn beherrschte die Angst, den Mann auf einem stockfinsteren Heuboden nicht zu finden, wenn der unter Umständen nicht mehr aus eigener Kraft auf sich aufmerksam machen konnte. Franz wusste, sich in völliger Dunkeln zu orientieren war eine Meisterschaft, die kein Sehender perfekt beherrschte.
    Nachdem die Soldaten fort waren, hatte er sich noch eine Weile in der Nähe des Kammerhofes aufgehalten, um festzustellen, ob ein Arzt einträfe oder ob ein Fuhrwerk zum

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