Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Brustkorb des Kranken hob und senkte sich kaum. Vermutlich arbeitete das Zwerchfell nicht mehr.
Mit rücksichtsloser Gewalt zwang Ernst die Kiefer des Sterbenden auseinander, um auszuschließen, dass ein Fremdkörper für die Symptome des Erstickens verantwortlich sei. Nein, dergleichen war nicht feststellbar, zumindest konnte er nichts sehen oder ertasten.
Er riss seine Tasche auf, holte ein Fläschchen mit Salmiakgeist heraus und hielt sie Kägler direkt unter die Nase.
„Haben Sie starken Kaffee da, aber er müsste möglichst kalt sein?“, fragte er barsch. Frau Kägler schaute ihn verständnislos an, dann begriff sie, doch noch etwas tun zu können und rannte mit gerafften Röcken hinaus.
Unterdessen zog Ernst ein weiteres Fläschchen aus seiner Tasche. In dem sorgfältig verschlossenen Glas befand sich ein peinlich genau bemessener Anteil Strychnin in einer so aberwitzig geringen Dosis, so dass das Gift anregend, nicht etwa tödlich wirkte. Für den Notfall hatte er ständig ein solches Fläschchen dabei, aber bisher hatte er es noch nie einsetzen müssen. Er hoffte, Käglers Körper habe noch die Zeit, auf die Stimulans zu reagieren. Noch bevor Frau Kägler mit einer Kanne Kaffee in das Schlafgemach ihres Gatten gestürmt kam, hatte er den Inhalt des Fläschchens verabreicht. Er beugte sich über den Brustkorb des Kranken und horchte.
„Rufen Sie zwei Diener herbei“, forderte er die Hausherrin auf, die vom Lauf durch das recht große Haus etwas von ihrer natürlichen Farbe zurückgewonnen hatte. Seinem Wunsch wurde sofort entsprochen. Es dauerte nur wenige Sekunden, da standen zwei kräftige Männer am Krankenbett.
„Richten Sie Ihren Herrn auf und halten ihn in einer sitzenden Position“, wies er die verstörten Diener an, die seinen Anweisungen anstandslos Folge leisteten. Ernst holte einen Trichter aus seiner Tasche hervor, an dem er ein zurechtgebogenes Rohr befestigte. Er schob es so weit und so behutsam wie möglich in den Rachen des Kranken.
„Gießen Sie den Kaffee vorsichtig und in kleinen Schlucken dort hinein.“ Ernst deutete auf den Trichter. Frau Kägler gehorchte, ohne zu zögern, und tat, wie ihr geheißen. Ernst verfolgte nervös seine risikovolle Behandlung. In Gedanken rechtfertigte er sich vor dem eigenen Gewissen: Selbst wenn Kägler die gewaltsame Verabreichung des Kaffees nicht überleben sollte – ohne das anregende Getränk hatte der Professor gleich gar keine Chance am Leben zu bleiben, denn Ernst ahnte, was die Atemlähmung hervorgerufen hatte.
Als er sicher war, der Kaffee sei im Magen angekommen, gab er den Dienern ein Zeichen, sie mögen seinen Patienten auf die Seite legen.
Käglers hervorquellende Augen hatten Ernst noch einen bewussten Moment lang angestarrt, dann brachen sie und wurden glasig.
Professor Kägler war tot!
„Der Herr sei seiner Seele gnädig“, murmelte Ernst betroffen und sah bedauernd zu Frau Kägler hinüber. Sie stand reglos da, im Gesicht jener Ausdruck, den er schon oft bei Angehörigen eines Verstorbenen gesehen hatte. Sie hatte noch nicht begriffen, dass es vorbei war.
„Ihr Gatte ist heimgegangen, es tut mit sehr leid, Frau Professor“, sagte Ernst leise und ging einen Schritt auf die junge Frau zu. Dabei stieß seine Schuhspitze an ein Glasfläschchen. Der Tritt verschaffte dem Gefäß so viel Schwung, dass es quer durch das Zimmer auf einen der Diener zurollte. Der Mann hob es eilfertig und gewiss in der Absicht auf, es zurückzubringen, aber als er kurz auf die Aufschrift sah, weiteten sich seine Augen. Sein nächster Blick traf Frau Kägler.
Ernst zuckte unwillkürlich zusammen, als er den schlecht verhehlten Hass in den Zügen des Mannes aufblitzen sah. Bevor er eine Erklärung abgeben konnte, ließ der Diener das Gefäß in eine Tasche seiner Livree gleiten. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, stürzte er aus dem Schlafgemach seines Herrn.
Es dauerte nicht lange und Kommissär Goltzow verlangte Einlass in Professor Käglers Haus. An der selbstgefälligen Miene des Dieners war abzulesen, dass er nicht mit dem hinterm Berg gehalten hatte, was er zu wissen glaubte.
Goltzow blieb, trotz der Vorverurteilung, die ohne Zweifel an den Mann gebracht worden war, sehr höflich und taktvoll gegenüber Frau Kägler. Zunächst bat er um ein Gespräch mit dem Arzt und zwar unter vier Augen.
Frau Kägler wurde hinausgeführt. Sie wirkte derart verstört, dass Ernst tiefes Mitleid mit der jungen Frau empfand.
Kaum waren die Männer
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