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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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bitte auf das Datum. Diese Mixtur ist drei Jahre alt, der Inhalt unbrauchbar geworden.“
    „Sie wollen mir also zu verstehen geben, Sie können unmöglich all die Mittel innerhalb eines Jahres verschrieben haben“, fasste Goltzow zusammen.
    „So ist es. Angesichts der beachtlichen Ansammlung muss ich feststellen, dass Herr Kägler neben mir noch andere Kollegen konsultiert hat, ohne mich darauf aufmerksam zu machen.“ Ernst hatte ein Medizinfläschchen zur Hand genommen, das ein Mittel enthielt, dass er grundsätzlich nicht verordnete. Seine Herstellung datierte auf den vergangenen Monat. Er stellte es mit der Bemerkung zurück: „Es wäre das Beste, wenn Sie den Inhalt des Kastens analysieren ließen.“
    Goltzow sah aus, als könne er den gut gemeinten Ratschlag erübrigen. Doch bevor er eine bissige Erwiderung an den Mann bringen konnte, ertönte in seinem Rücken ein dumpfes Geräusch. Er fuhr herum und sah, dass Frau Kägler der Länge nach hingestreckt und wachsbleich auf dem farbenfrohen Teppich lag.
    „Um Gottes willen, tun Sie doch was“, entfuhr es ihm überflüssigerweise, denn Ernst kniete bereits und kümmerte sich um die junge Witwe.
    „Rufen Sie die Diener. Die Frau braucht Ruhe“, ordnete er mit der Entschiedenheit des Arztes an, die er immer ausstrahlte, sobald es um das Wohl seiner Patienten ging.
     
     
    Ernst stand neben Frau Käglers ausladendem Bett. In dem wuchtigen Möbel wirkte ihr schmaler Körper noch zerbrechlicher.
    Ernst hatte die schweren Vorhänge zurückziehen und die Fensterflügel öffnen lassen, damit Luft in das stickige Zimmer gelange und einer Kranken zuträglicher werde. Es wehte kein Lärm von der Straße herauf. An Sonntagabenden war die Stadt oft merkwürdig still.
    Ernst hatte darauf verzichtet, der jungen Frau die Ampulle mit dem Salmiakgeist unter die Nase zu halten. Er hatte längst bemerkt, dass sie aus ihrer Ohnmacht erwacht war. Gleichwohl hatte er Goltzow zu verstehen gegeben, aus ärztlicher Sicht könne er keine weitere Befragung verantworten. Daraufhin hatte Goltzow sich brummelnd zurückgezogen, um die Dienerschaft des Hauses auszuhorchen.
    Ernst nahm ihren schlaffen Arm und fühlte ihren Puls. Nicht, weil er es für notwendig hielt, sich über ihren Zustand zu vergewissern, er wollte ihr mit seiner Berührung eine Gelegenheit verschaffen, aufzuwachen. Und Frau Kägler wusste sie zu nutzen. Sie schlug die Augen auf und sah sich um. Ihr ungläubiger Blick blieb an Ernst hängen.
    „Ich habe meinen Mann nicht umgebracht!“, war das Erste, was sie mit erstickter Stimme herausbrachte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sickerten aus ihren Augenwinkeln in die Kissen.
    „Niemand behauptet das“, erwiderte Ernst mit jenem milden Lächeln, das er stets aufsetzte, wenn es darum ging, seinen Patienten Mut zuzusprechen. Er behielt ihre Hand in der seinen, tätschelte sie beruhigend. „Sie dürfen sich in Ihrem Zustand nicht aufregen“, sagte er und zwinkerte onkelhaft.
    Urplötzlich erwachte sie aus ihrer Lethargie und schnellte mit dem Oberkörper in die Höhe. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an, seine Hand mit allen zehn Fingern umkrampfend.
    „Haben Sie dem Kommissär davon erzählt?“, fragte sie heiser.
    „Hören Sie, Frau Kägler, Sie sind eine verheiratete Frau, die vor einer Stunde zur Witwe geworden ist. Also besteht kein Grund, sich derart aufzuregen. Das ist nicht gut für das Kind, das Sie unter dem Herzen tragen!“ Er hatte versucht, seiner Stimme viel Gewicht zu verleihen und sah nun hinunter zu der Frau, die seine Hand hilfesuchend umklammerte und am ganzen Körper bebte.
    Sie brauchte eine Weile, um zu begreifen, was der Arzt ihr hatte verständlich machen wollen. Er hatte in väterlichem Ton gesprochen, obwohl er ebenso jung war wie seine Patientin.
    Als ihr dämmerte, dass er recht habe, ließ sie sich zurückfallen. Ihre Augen überzogen sich mit Glanz, der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Ohne sich an der Anwesenheit des Mannes an ihrer Bettstatt zu stören, streichelte sie liebevoll die leichte Wölbung ihres Unterleibes.
    Ernst erschütterte die Geste zutiefst. Seine streng gewahrte Distanz zwischen Arzt und Patientin schmolz dahin. Eine Distanz, die er dringend nötig hatte, um sich selbst zu schützen. Er schaute verlegen auf seine Schuhe, aber im selben Moment wusste er nicht, woher seine plötzliche Scham rührte. Er fühlte sich als Eindringling, als unautorisierter Zeuge einer überaus

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