Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
intimen Szene – der stummen Zwiesprache zwischen Mutter und ungeborenem Kind.
Frau Käglers Glücksseligkeit währte nur kurz. Aber ihre Gefühlsregung ließ ihn zwangsläufig an Charlotte denken, die alle vier Wochen bekümmert feststellen musste, ihr Monatsfluss setze mit unerbittlicher Regelmäßigkeit ein. Charlotte wünschte sich so sehr ein Kind, dass es ihn jedes Mal schmerzte, sie leiden zu sehen, wenn ihre Gebete eine weiteres Mal nicht erhört worden waren.
Im Leben liegen Glück und Leid so eng beieinander, dachte er. Er räusperte sich befangen und wühlte in seiner Arzttasche umher, nur um festzustellen, dass sich dort nach wie vor dieselben Instrumente und Arzneien befanden wie vor einer Viertelstunde.
„Mein Mann hat sich zum Mittagsschlaf zurückgezogen“, flüsterte Frau Kägler. Sie wischte ihre Tränen verstohlen fort. „Erst als sein Leibdiener in den Salon gestürzt ist, habe ich von seinem bedenklichen Zustand erfahren, das müssen Sie mir glauben.“ Sie verstummte, doch ihre Augen flehten.
„Ich glaube Ihnen, Frau Kägler. Und jetzt hören Sie auf Ihren Arzt und schlafen. Ich werde Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel geben. Bis morgen lasse ich niemanden zu Ihnen“, während er das sagte, öffnete sich in seinem Rücken die Tür. Ein Hausmädchen lugte herein. Ernst winkte ihm und drehte sich zu dem Bett um, „außer das Hausmädchen, das Ihnen Ihre Wünsche von den Augen ablesen wird.“
Frau Kägler lächelte kaum merklich über die beruhigende Aussicht.
Ernst beauftragte das Hausmädchen, einen Absud aus getrocknetem Johanniskraut zu bereiten, das er in einem weißen Tütchen übergab. Weiterhin verlangte er, das Getränk solle mit Honig, nicht mit Zucker, gesüßt werden. Die Bedienstete huschte wie ein Mäuschen aus dem Zimmer. Sie wirkte genauso verstört wie ihre Herrin, was ihr niemand verübeln konnte angesichts der dramatischen Ereignisse. Doch Ernst hatte noch etwas anderes an ihr bemerkt. Ein Blick in ihre Augen hatte ihm genügt, um zu wissen, dass sie von Angst gequält wurde. Er schob es auf die Vernehmung, die ihr bevorstand, wo er am eigenen Leibe erfahren hatte, wie unangenehm Kommissär Goltzows Befragung sein konnte.
Das Hausmädchen, das von Frau Kägler Sophie gerufen wurde, kehrte mit dem Tee zurück. Ernst überzeugte sich noch, dass seine Patientin gehorsam davon trinke, und beschloss dann, sich zu verabschieden.
„Morgen Nachmittag schaue ich wieder nach Ihnen“, versprach er. An Sophie gewandt trug er auf: „Und Sie passen auf, dass Ihre Herrin nicht aufsteht. Ich habe ihr strickte Bettruhe verordnet!“
Sophie knickste schüchtern. Sie schickte sich an, Ernst aus dem Zimmer zu begleiten. Er drehte sich in der Tür noch einmal um, sah, dass Frau Kägler bereits die Augen geschlossen hatte und wünschte ihr im Stillen einen traumlosen, erholsamen Schlaf. Bei dem Gedanken, sein Wunsch werde illusorisch bleiben, verkniff er sich einen Stoßseufzer.
Kaum war die Tür zugefallen, presste Sophie ihren mageren Körper an die Wand des Flures und schien sich regelrecht festzukrallen.
„Sie müssen sich vor Kommissär Goltzow nicht fürchten, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben.“ Seine Worte, die er in guter Absicht ausgesprochen hatte, das Mädchen zu beruhigen, bewirkten leider das Gegenteil. Es schlug sich die Hände vors Gesicht und bebte.
„Beruhigen Sie sich doch, es wird Ihnen nichts geschehen ...“ Er gedachte, weiterhin vorzuschlagen, das Mädchen solle sich auch des Tees bedienen, doch urplötzlich war er sich nicht mehr sicher, woher Sophies Angst rühren mochte. Der nüchterne Verstand sagte ihm, er dürfe sich nicht in Dinge mischen, die ihn nichts angingen, obgleich die Ethik seines Berufsstandes und das eigene Gewissen ihm verboten, das angstschlotternde Mädchen sich selbst zu überlassen.
„Sie werden Frau Kägler anzeigen“, presste Sophie hinter vorgehaltenen Händen hervor. Sie schluchzte leise, aber herzzerreißend.
„Ich? Womit sollte ich Frau Kägler belasten?“, fragte Ernst empört.
Sophie ließ verständnislos die Hände sinken, dann begriff sie das Missverständnis. „Ich meine doch nicht Sie, Herr Doktor“, stellte sie hastig richtig, „sondern Jacob Kägler, Professor Käglers Sohn aus erster Ehe, und seine Helfershelfer. Dem Jungen war die Eheschließung seines heiratslustigen Vaters nicht recht. Er intrigierte von Anfang an gegen die neue Frau Kägler und hat erneut Zwietracht in dieses Haus gesät.“
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