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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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Während Sophie flüsterte, schaute sie angstvoll nach rechts und links in den langen Flur. Sie sah so gequält aus, dass Ernst meinte, sie müsste an ihrem Wissen ersticken, wenn sie nicht auf der Stelle einem vertrauenswürdigen Menschen ihr Herz ausschütten könnte. Und da war ihr der Arzt ihrer Herrin gerade recht gekommen.
    Ernst schwankte zwischen Abwehr und Pflichtbewusstsein. Aber war es nicht so, dass Erkrankungen der Seele zumeist in zwischenmenschlichen Beziehungen begründet lagen? Einschlägiges Wissen um die oft komplizierten Beziehungen war für einen Arzt äußerst aufschlussreich und von unschätzbarem Wert. Allerdings hatte man es hier mit einem heiklen Fall zu tun, warnte sein Instinkt, als er sich längst sagen hörte: „Sie sehen mitgenommen aus, Fräulein. Möchten Sie, dass ich Sie untersuche?“
    Sophies Gesicht leuchtete dankbar auf.
    „Meine Kammer ist oben, wenn Sie mir folgen wollten?“, fragte sie schüchtern. Sie stieg eine steile Stiege hinauf, und Ernst folgte. Die Kammer, wie sie ihre Unterkunft bezeichnete, war in seinen Augen nichts weiter als ein Verschlag. Gleichwohl war er angenehm überrascht, als er die Wände, von außen rohe Bretter, im Inneren verputzt und mit einer aufwändigen Bemalung verschönt vorfand. Das Kämmerchen war einfach, aber gemütlich eingerichtet. Ernst nickte anerkennend.
    „Frau Kägler, die junge Frau Kägler, hat meinem Vater erlaubt, hier tätig zu werden“, sagte Sophie und Ernst glaubte Stolz aus ihrer Stimme herauszuhören. „Er ist ein begnadeter Anstreicher, finden Sie nicht?“
    Ernst ging in Gedanken seine Patienten durch, die Symptome einer schleichenden Bleivergiftung zeigten. Fast alle alten Malergesellen litten unter Beschwerden, die das Bleiweiß in den Farben verursachte.
    „Ja, Sie haben es sehr schön hier“, stellte er fest. „Allerdings ist es furchtbar heiß.“ Er machte sich auch gleich an dem Dachfensterchen zu schaffen. Zu seinem Bedauern ließ es sich nur einen Spaltbreit öffnen.
    „Ja, im Sommer kann ich manchmal vor Hitze nicht schlafen und im Winter vor Kälte, obwohl ich mir immer einen heißen Stein mit ins Bett nehme“, sagte sie unter einem verhaltenen Lächeln. „Aber damit ist es bald vorbei“, setzte sie bedauernd hinzu. Sie senkte die Lider, ließ sich kraftlos aufs Bett fallen und fing an, hemmungslos zu weinen. Ernst stand noch am Fenster und hatte versucht, ein bisschen frische Luft zu erhaschen. Ihren Gefühlsausbruch hatte er zwar erwartet, seine Heftigkeit brachte ihn jedoch etwas aus der Fassung. Er zog ein Taschentuch hervor und reichte es ihr.
    „Weinen Sie sich ruhig aus“, schlug er mitfühlend vor. „Die Tränen nehmen Ihnen ein Stück Last von der Seele.“
    Sophie griff mit tränenverschleiertem Blick nach dem Tuch und folgte dem ärztlichen Ratschlag. Ihre Schultern bebten und zuckten, ein Schluchzer folgte auf den nächsten. Ernst ließ sie wortlos gewähren, leistete ihr nur mit seiner Gesellschaft Beistand.
    „Sie ist eine gute Herrin, müssen Sie wissen. Ganz anders als die zweite Frau Kägler, bei der ich den Dienst hier im Hause aufgenommen habe“, begann sie mit belegter Stimme zu erzählen. „Die Hexe hat den Herrn zum Trinker gemacht, er wurde sehr krank und sehr böse.“ Sie unterbrach sich, um sich ausgiebig zu schnäuzen. „Alle im Haus haben insgeheim aufgeatmet, als sie gestorben ist, obwohl es eine Sünde ist, sich über den Tod eines Menschen zu freuen.“ Sie verstummte und schluckte. Eine Weile bewegte sie tonlos die Lippen, so dass Ernst annahm, sie bete. Dann setzte Sophie ihre Schilderung mit festerer Stimme fort.
    „Zu unserer Verwunderung dauerte es nicht lange, da war unser Herr zum dritten Mal verheiratet. Vor der Hochzeit gab es viele unschöne Szenen. Herr Kägler und sein Sohn brüllten sich an. Man konnte es durch das ganze Haus hören, womöglich bis zur anderen Straßenseite.“ Sie schaute auf und blickte Ernst forschend an, wie um zu prüfen, ob eine Klatschgeschichte, die in Rostock kursierte, ihre Enthüllungen bestätigen könne. Doch Ernst verzog keine Miene. Selbst wenn ihm irgendetwas zu Ohren gekommen wäre, hätte er sich nicht dazu hinreißen lassen, einen Kommentar abzugeben. Er verstand sich ausschließlich als Seelentröster.
    „Herr Beckmann ist auch sehr ungehalten darüber gewesen, dass der Professor wieder geheiratet hat und er lässt es die junge Frau Kägler täglich spüren.“
    Ernst horchte auf. Beckmann war vermutlich der

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