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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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in die entgegengesetzte Richtung wenden.
    „Kägler ist Student an der hiesigen Universität?“, fragte er schließlich.
    „Ja, habe ich das noch gar nicht erwähnt?“, staunte Sophie. „Bereits die zweite Frau Kägler hat sich maßlos darüber aufgeregt, wie viel Geld das Studium ihres Stiefsohnes verschlingt.“ Sie hob die Hände und nahm ihre Finger zum Zählen zu Hilfe. „Er studiert wohl schon sechs Jahre“, meinte sie nachdenklich.
    „Sechs Jahre?“, wiederholte Ernst ungläubig. „Aber dann ...“ Er brach ab. Dumpf stieg die Erinnerung an einen Studenten namens Jacob Kägler auf. Allerdings hatte der nicht wegen besonders guter Leistungen von sich reden gemacht. Vielmehr waren es seine ausgefallenen Streiche gewesen, die allzu oft in den Sitzreihen des Auditoriums für Gesprächsstoff gesorgt hatten – sehr zum Leidwesen der Professoren, die ihre Vorlesungen zu halten hatten.
    Die Stadtsoldaten, wegen ihrer roten Uniformen Krebse genannt, waren bevorzugte Ziele seiner minuziös geplanten Albernheiten gewesen. Ernst seufzte gedanklich, als er an sein erstes Semester zurückdachte, wo er sich auch an solchen Aktivitäten beteiligt hatte. War das wirklich erst fünf Jahre her, fragte er sich erstaunt. Peinlich berührt räusperte er sich. Doch die nächste Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein Schock. Ihm wich das Blut aus dem Kopf.
    „Ist Ihnen nicht gut, Herr Doktor“, fragte Sophie besorgt.
    „Nein, nein, es ist alles in bester Ordnung“, wiegelte Ernst ab, der zu Recht befürchtete, Sophie ließe ihm jede Fürsorge angedeihen, wenn er etwas anderes behauptete. Schließlich war er der Arzt und nicht der Patient. Indes drängte es ihn, Käglers Haus so bald als irgend möglich zu verlassen, deshalb lenkte er das Gespräch auf einen Abschluss.
    „Sehen Sie sich in der Lage, heute Nacht bei Ihrer Herrin zu wachen?“
    Unter seiner Frage schnellte Sophie vom Bett in die Höhe. „Gewiss!“, brachte sie mit ihrem ganzen Selbstverständnis hervor.
    „Gut, dann legen Sie sich jetzt eine wenig schlafen. Ich werde Sie bei Herrn Goltzow für heute entschuldigen.“
    „Danke, Herr Doktor, Sie sind zu gütig.“ Es hätte nicht viel gefehlt und Sophie wäre vor ihm auf die Knie gefallen und hätte ihm voller Dankbarkeit die Hand geküsst. Ernst hielt sie bei ihrem Kniefall auf.
    „Lassen Sie das“, sagte er barsch. „Seien Sie dem Allmächtigen dankbar, wenn Ruhe und Frieden in dieses Haus einkehrt, nicht mir. Ich tue nur, was mir mein Beruf aufgibt.“
    Sophie knickste schüchtern. Ernst strebte der Tür zu und Sophie machte Anstalten, ihn zu begleiten.
    „Ich sagte doch, Sie sollen sich hinlegen, oder möchten Sie dort unten Kommissär Goltzow über den Weg laufen?“, herrschte er sie an. Sophie blieb wie angewurzelt in der Kammertüre stehen und schüttelte den Kopf. So hohlwangig und blass, wie sie war, kam sie ihm wie ein graues Mäuschen vor. Seinen Eindruck verstärkte ihr einfaches, in Grautönen gehaltenes Kleid.
    „Dann ruhen Sie sich aus, die Nacht wird Ihnen noch lang werden“, sagte er freundlich und rang sich noch ein Lächeln ab, das sie beruhigen sollte.
    „Ja, Herr Doktor. Auf Wiedersehen, Herr Doktor.“
    Ernst grüßte und hastete zur Stiege, um dem stickigen Dachgeschoss zu entkommen. Es war ihm, als könne er ebenso wenig Atem holen wie Professor Kägler.
     
    Ernst zog unbewusst an seiner Halsbinde, so gegenwärtig war die Erinnerung an den Moment. Er meinte, die staubtrockene Luft kratze in seiner Kehle, und er langte nach einem Glas Wasser. Gierig trank er ein paar kühle Schlucke. Er stellte das Wasserglas mit Bedacht zurück, stützte den Kopf auf seine Hände und massierte sich die Schläfen.
    „Mein Gott, was für ein Albtraum“, murmelte er in sein aufgeschlagenes Buch. Er starrte zwar hinein, aber im Augenblick interessierte ihn nicht, was dort geschrieben stand.
    „Friederike Kägler“, flüsterte er. „Was verbirgst du für ein Geheimnis?“ Er brach sein Selbstgespräch jäh ab und horchte angestrengt.
    Spielten ihm seine Sinne einen Streich oder rief tatsächlich jemand seinen Namen?
    „Franz?“ Ernst sprang auf und stürzte beunruhigt zum Fenster. Franz wollte doch erst morgen Vormittag zurück sein, ging es ihm durch den Kopf, und jetzt haben wir gerade mal stockdunkle Nacht!
    Er beugte sich über die Brüstung zum Fenster hinaus und nahm unten drei Gestalten wahr.
    „Franz?“, fragte er ungläubig.
    „Ja, ich bin’s. Mach bitte auf!“, kam zurück.

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