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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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abermals bei den Juden angekommen, war in einer aufgeregten und ärgerlichen Stimmung. Seine Konzentrationsfähigkeit litt beträchtlich unter dem Eindruck der Goldblum’schen Zeilen. Er bedauerte, den Brief mit der Hiobsbotschaft vor allen anderen geöffnet zu haben. Schnell sah er den Stapel mit der Korrespondenz durch und beschloss, die unerledigte Post als unwichtig abzutun, sprich – die übrigen Briefe seinem Sekretär zu überlassen.
    Die Uhr zeigte erst die 10. Stunde an, als der Graf zur Überraschung seiner Dienstboten das Arbeitszimmer bereits verließ. Dem Personal war es strikt untersagt, das Zimmer zu betreten. Trotz des Verbotes, das der Graf zum Gesetz in seinem Hause erhoben hatte, wusste der Hausherr um die menschlichen Schwächen, insbesondere um die der Neugier. Deshalb versäumte er nie, hinter sich abzuschließen. Die degradierte Post hatte er sich unter den Arm geklemmt. Auf dem Weg zum Salon legte er sie auf dem Schreibtisch im Privatkontor ab. Der Sekretär begann seinen Dienst erst um 11.30 Uhr, um seinem Herrn manchmal bis in die späten Abendstunden hinein zur persönlichen Verfügung zu stehen.
    Obwohl der Graf wusste, die nächsten Stunden zur Untätigkeit verdammt zu sein, warf er einen Blick in den sorgfältig geführten Terminkalender. Seinen eigenen Regeln folgend hatte er sich erst nach dem Mittagessen auf Verabredungen einzustellen.
    Seine Unruhe rührte jedoch nicht nur von den miserablen geschäftlichen Aussichten dieses Jahres. Er sorgte sich um seinen Sohn Johann, von dem er im April einen letzten Brief aus Rostock erhalten hatte. Vater und Sohn unterhielten zwar keine regelmäßige Korrespondenz, aber Johann hatte in seinen Zeilen den Vater wissen lassen, den Sommer auf Hohen-Lützow verbringen zu wollen. Weiter hatte er mitgeteilt, genaue Termine für anstehende Semesterprüfungen stünden noch nicht fest. Er hatte in Aussicht gestellt, sich erneut zu melden, um vor seinem Aufbruch zum Gut die Familie in Ludwigslust zu besuchen.
    Die Familie! Die Familie war für Johann vor allen Dingen die kleine Schwester, die er abgöttisch liebte. Johanna war das jüngste Kind aus der Ehe des Grafen mit der um fünfundzwanzig Jahre jüngeren Luise, die dem Geschlecht von Weiden aus den pommerschen Landesteilen Preußens entstammte.
    Die Mutter der Geschwister verkörperte mit ihrer Jugend und Sanftheit jenes anbetungswürdige Geschöpf, das nach einem frühen Tod zu einer Art Göttin verklärt wird. Und Johanna wurde der jugendlich schönen Mutter mit jedem Tag ihres Lebens ähnlicher.
    Der Knabe Johann hatte seine Mutter nicht beschützen können. Als sie starb, war der Junge gerade mal 13 Jahre alt gewesen. Seiner um acht Jahre jüngeren Schwester galt daher seine Liebe und Aufmerksamkeit.
    Johann hätte es auf keinen Fall versäumt, Johanna zu besuchen, um die sechzehnjährige Schwester mit ausgesuchten kleinen Geschenken zu überhäufen, die er über das Jahr hinweg in Rostock erstand.
    Der Graf kehrte dem Kontor den Rücken. In seiner Erinnerung stieg der letzte Sommer mit jener anrührenden Szene im Salon auf. Die Geschwister hatten unter dem lebensgroßen Porträt der Mutter die Köpfe zusammengesteckt. Johanna hatte mit vor Aufregung geröteten Wangen und wachsender Begeisterung kleine Kostbarkeiten ausgepackt, die ihr der Bruder nach und nach zugesteckt hatte.
    Das Porträt seiner jungen Frau geriet dem Grafen unter die Augen. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er den Salon betreten.
    Ja, sie war schön! So schön – er hatte seiner Königin – so nannte er seine Luise – schon zu Lebzeiten verziehen, ihn nicht in der bedingungslosen Art geliebt zu haben, wie er für sie empfand.
    Der Graf war schon ein reifer Mann gewesen, als er sich in die damals siebzehnjährige Luise von Weiden verliebt hatte. Er hatte nicht daran geglaubt, nach seiner ersten Ehe, die kinderlos geblieben war und mehr auf gegenseitigem Respekt beruht hatte, sich in eine, ja, fast kindliche Frau verlieben zu können. Es war einfach geschehen.
    Luises Mutter stand der Verbindung mit dem damals vermögenden Grafen nicht im Wege. Sie bedauerte nur, die Tochter ins mecklenburgische Ausland zu verlieren. Luise selbst schwärmte für den stattlichen Herrn, der ihr so schmeichelhaft den Hof machte. Seine grauen Schläfen waren interessant und zeugten von Erfahrung. Alles in allem war es einfach aufregend, geheiratet und mit wunderbaren Geschenken und Kleidern überhäuft zu werden.
    Die Ernüchterung trat

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