Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
bereiten.
Wenn Johann noch in Rostock wäre, überlegte er, hätte er gewiss die Prüfungen nicht versäumt. Aber wo sollte er sein?
Die erste Möglichkeit, die sich dem Vater regelrecht aufdrängte, war Hohen-Lützow. Gewiss, es gab unbegrenzt weitere, aber auf seinem Grund und Boden wollte er mit der Suche nach seinem Kind beginnen.
Der Graf schaute in seinen Kalender und rechnete nach. Franz, so ergaben es seine Ermittlungen, müsste bereits auf dem Gut sein. Er setzte einfach voraus, Franz sei in der Garnison gewesen, die als letzte Dienstadresse bekannt gemacht worden war, habe seine Depesche erhalten und auch Urlaub eingereicht. Der Graf hatte den Inhalt des Briefes an seinen jüngeren Sohn sehr persönlich gehalten, jedoch – seine eigentlichen Beweggründe für das erwünschte Treffen hatte er verschwiegen. Er war überzeugt, Franz habe keine Minute gezögert, habe um Urlaub ersucht und sich auf den Weg nach Hohen-Lützow gemacht.
Woher nehme ich bloß meine Gewissheit, fragte er sich plötzlich. Augenblicklich plagten ihn Zweifel. Was wäre, wenn Franz gar nicht in der Garnison, sondern in irgendeinem Feldlager ist oder keinen Urlaub bekommen hat?
Dem Grafen wurde unwohl, er zerrte an seiner, wie er meinte, plötzlich zu eng gewordenen Krawatte.
Aber warum sollte Franz im Feld gewesen sein. Es war Frieden und auch die Preußen mussten ihre Soldaten dann und wann in den Urlaub entlassen. Die Einschätzung zur Lage der Dinge, die einbezog, Franz auf dem Gut anzutreffen, stimmte den Grafen zuversichtlicher. Er machte sich daran, eigene Vorbereitungen zu treffen.
Schon vor einigen Tagen hatte er seinen Sekretär über die Reise nach Hohen-Lützow informiert und ihn angewiesen, alle vordem vereinbarten Verabredungen, ob geschäftlich oder privat, mit höflichen Entschuldigungen abzusagen.
Johannas Sommerausflug kam zwar überraschend, aber wie sich inzwischen herausgestellt hatte, nicht ungelegen. Der Graf wollte seiner Tochter die vielleicht unbegründete Sorge um Johann ersparen und so war es ihm lieb, sie in angenehmer Umgebung gut aufgehoben zu wissen. Er beschloss, die näheren Umstände der Fahrt an die Ostsee zu ergründen und begab sich in sein Kontor.
„Wolfgang, schicken Sie ein Billet an Baronin von Plessen, worin ich Madame ersuche, mich heute Nachmittag zu einem Besuch zu empfangen.“
„Sehr wohl, Euer Gnaden.“
„Und Wolfgang, schicken Sie den Andreas als Boten, der trödelt nicht so wie die anderen Burschen.“
Johanna lag selig auf dem breiten Bett ihres Boudoirs. Der Eindruck des elegant eingerichteten Zimmers hatte unter ihrer Begeisterung gelitten, sämtliche Sommerkleider und dazu passende und natürlich unbedingt notwendige Accessoires wie Hüte, Schals, Halstücher, Handschuhe etc. durchzuprobieren und anschließend gleichmäßig zu verteilen. Das junge Mädchen störte sich nicht an der Unordnung. Mit offenen Augen und verzücktem Gesicht malte es sich die Erlebnisse der kommenden Wochen aus.
Johanna konspirierte bereits seit längerem mit der Freundin. Nachdem Margitta ihre Mutter hatte überzeugen können, wie angenehm Johannas Gesellschaft sei, hatte Madame von Plessen dem zwar zugestimmt, aber zugleich darauf bestanden, das Mädchen bedürfe unbedingt einer kompetenten Begleitung. Elvira Engelmann, die nach Johannas Meinung mit 30 Jahren schon alt, nach Elviras Dafürhalten noch jung genug war, um sich über einen Sommer in einem vornehmen Kurort zu freuen, brauchte nicht lange überredet zu werden. Und so war die höchst offizielle Einladung heute mit einem Boten gekommen.
Johanna schwebte immer noch im siebten Himmel. Sie hatte insgeheim mit erheblicher Gegenwehr ihres Vaters gerechnet. Als sie in Gedanken noch einmal die Begegnung im Salon durchspielte, wunderte sie sich doch, weshalb Vater mit ihr aufs Land habe reisen wollen. Sonst hat er doch immer so viel mit seinen Geschäften zu tun gehabt und nach Hohen-Lützow ist er jedes Jahr erst im Herbst gefahren, in den letzten Jahren regelmäßig in Johanns Begleitung, dachte sie.
In ihrer ersten überschwänglichen Freude hatte sie sich mit dem Vorschlag des Vaters gar nicht beschäftigt. Nun begann sie die Sache von einer anderen Seite zu betrachten.
Hatte Vater sich auf die gemeinsame Reise gefreut und war jetzt traurig, den Sommer nicht an ihrer Seite verbringen zu können?
Johanna schaute auf die Uhr. Das Mittagessen müsste bald serviert werden. Beim Aufstehen kamen ihr die verstreuten Kleidungsstücke
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