Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
die Tochter. „Nun gut“, meinte er dann, „ich wollte dir zwar eine Reise nach Hohen-Lützow vorschlagen, aber wenn du andere Pläne hast?“
„Danke, Papa, danke!“ Freudestrahlend fiel Johanna ihrem Vater um den Hals. Dann machte sie sich auch schon wieder los. Im Hinauslaufen rief sie noch aus der Halle: „Und grüß mir den Johann schön von mir.“
Erstaunt, aber auch ein bisschen beleidigt über den plötzlichen Verlust ihrer Gesellschaft, blieb der Graf zurück. Er wusste, seine Tochter werde nicht in der nächsten Stunde das Haus verlassen, um in die Sommerfrische zu fahren. Die weibliche Angewohnheit bei Reiseplänen sofort die Garderobe einer kritischen Prüfung zu unterziehen, dabei vielleicht das eine oder andere neue Stück aus dem Versorger herauszupressen, kam ihm sehr bekannt vor. Johanna ähnelte ihrer Mutter eben nicht nur äußerlich.
„Und grüß Johann schön ...“, murmelte der Graf in Gedanken. Er seufzte. Es widerstrebte ihm, in sein Arbeitszimmer zurückzukehren, deshalb lenkte er seine Schritte zunächst in die Bibliothek. Bei der Suche nach einem geeigneten Buch, das ihn auch genügend fesseln sollte, um abzulenken, wurde er angesprochen.
„Verzeihung, Euer Gnaden!“ Der Sekretär stand in der Tür zur Bibliothek und wartete geduldig, ob sein Dienstherr geneigt sei, seinem Anliegen Gehör zu schenken.
„Ja bitte, sprechen Sie!“ Der Graf hatte sich dem Bücherregal zugewandt. Er sah die oft verheißungsvoll klingenden Titel durch, schob aber ein Buch nach dem anderen nach kurzem Überfliegen der Einleitung enttäuscht ins Regal zurück.
Ein dicker Teppich dämpfte die ohnehin leichten Schritte des Sekretärs. Dem Grafen kam es jedoch so vor, als wolle der junge Mann, der äußerst vorsichtig auftrat, am liebsten unsichtbar werden. Argwöhnisch betrachtete er seinen Sekretär, eine zusammengesunkene Gestalt, die sich ansonsten selbstsicher und tadellos gerade zu halten pflegte.
„Verzeihung, Euer Gnaden haben die Post auf meinen Arbeitsplatz gelegt und ich habe in meiner Einfalt gemeint, ich solle mich ihrer annehmen.“ Die unterwürfige Stimme erstarb und ihr Eigentümer suchte im Gesicht des Grafen offensichtlich nach Zustimmung.
„Ja richtig, das tat ich! Was ist damit?“
Der Sekretär wappnete sich mit einem tiefen Atemzug und zog einen Umschlag aus seinem Rockärmel hervor. „Diese Nachricht kommt vom Rektor aus Rostock ...“
Hastig nahm der Graf den Brief entgegen. „Aber der ist ja geöffnet?“ Fragend starrte er den Sekretär an, der nur hilflos mit den Schultern zuckte. Dann erinnerte er sich. „Ja, ja, schon gut, Sie können gehen.“
Der Graf drückte den Brief an sich und durchquerte das Haus in Richtung Arbeitszimmer. Sein Herz klopfte und er spürte dieselbe dumpfe Angst, die er durchlitten hatte, als er auf dem dunklen Flur vor Luises Schlafzimmer auf den Arzt gewartet hatte.
Erst in der Abgeschiedenheit seines Arbeitsraumes begann er den Brief zu lesen.
Universität zu Rostock
01. Juli 1816
Meine allergrößte Wertschätzung vorausschickend möchte ich auf Euer Gnaden Schreiben, welches mir am 28. Juni zugegangen ist und mich sehr gefreut hat, es zu erhalten, Antwort geben.
Ihr Sohn, Johann von Klotz, verehrter hochgeborener Herr Graf, nach dessen Erfolg des Studiums der Ökonomie und Naturwissenschaften Euer Gnaden nachgesucht haben, mich zu befragen, und es freut mich außerordentlich, dass Euer Gnaden am Vorankommen des Herrn Sohnes so sehr gelegen ist, dass sich Euer Gnaden nicht scheuen, selbst zu hinterfragen, ist dem Kollegium als zielstrebiger, gewissenhafter Studiosus bekannt. Keiner der von mir befragten Professoren hatte Negatives zu berichten. Die im Studiennachweis vermerkten Einschätzungen der geprüften Leistungen des Herrn Sohnes sind so zu beurteilen, dass einem erfolgreichen Abschluss entgegenzusehen ist.
Es gibt nur eine Merkwürdigkeit. Der Herr Sohn, verehrter hochgeborener Herr Graf, hat an den diesjährigen Prüfungen zum Abschluss des Sommersemesters nicht teilgenommen. Ich möchte Euer Gnaden jedoch insofern beruhigen, dass es dem Herrn Sohn ermöglicht werden wird, dieses im Wintersemester nachzuholen ...
Der Graf ließ das Papier fassungslos auf den Schreibtisch sinken.
„Es gibt nur eine Merkwürdigkeit ...“ Die Feststellung sprang ihn an wie ein gefährliches Raubtier. Dumpfe Angst war ihm wie ein Stein in den Magen gefallen und begann nicht nur seelischen, sondern auch körperlichen Schmerz zu
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