Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Getreideüberschüsse des Gutes vor allem nach England exportierte. Das einträgliche Geschäft stellte eine wesentliche Einnahmequelle des Grafen dar.
Schnell brach er das Siegel. Er erwartete eine Beurteilung des Getreidemarktes, die schon vor der Ernte Spekulationen über Preise zuließ, die möglicherweise zu erzielen seien.
Der Graf wollte seinen Augen nicht trauen. Die Buchstaben begannen zu tanzen. Die mit einer klaren Handschrift verfassten Zeilen flossen ineinander. Bedächtig legte er den Brief zur Seite und fuhr sich mit einer Hand über die Lider. Er konnte es nicht glauben. Nein, die gottverdammten Engländer! Er musste sich erst zur Ruhe zwingen, um den Brief ein zweites Mal lesen zu können.
Hochgeborener Graf Klotz,
Die Beurteilung des Getreidemarktes für den Export, um die mich Euer Gnaden im letzten Brief so freundlich gebeten haben, erübrigt sich in diesem Jahr, zumindest für den Handel mit dem Königreich England und seinen Kolonien.
Ich möchte Euer Gnaden diesen Umstand erklären:
Die Zollbehörde Seiner Majestät hat es für unumgänglich gehalten, Getreidezölle zu erheben. Der Absatz für ausländische Produkte wird durch eine solche Politik derart erschwert, weil sich die Preise um den Einfuhrzoll erhöhen. Ich habe von meinen langjährigen Geschäftspartnern bisher nur Absagen mit der Begründung erhalten, der Handel mit ausländischem Korn sei für jeden Kaufmann im Königreich wenig lohnend.
Ich bin über die Entwicklung genauso bekümmert wie Euer Gnaden und verbleibe als treu gehorsamster Freund
Ignatz Goldblum
„Verdammter Jude, diese Krämerseele! Dem ist es doch egal, wie ich mein Geld verdiene. Heute handelt der eben nicht mit Getreide aus Mecklenburg, sondern mit Kaffee und Tee aus den britischen Kolonien“, schimpfte der Graf. Er warf den Brief auf das Schreibpult. All seine Verachtung folgte ihm. Gedanklich erboste er sich über Goldblum, obschon er ahnte, in ein finanzielles Desaster zu geraten. Aber er war noch nicht bereit, es sich einzugestehen. Goldblum musste als Sündenbock herhalten. Da half es dem Kaufmann wenig, sich als Freund zu betrachten. Sein ehrliches Bedauern über eine entgangene Geschäftsmöglichkeit konnte den Grafen nicht besänftigen.
In der Brust des Gutsbesitzers fraß auch Neid. So anpassungsfähig wie die Kaufmannsgilde konnte kein Landwirt sein. Doch der Graf bedachte nicht nur Goldblum mit seinem Groll.
„Die verdammten Engländer mit ihrem Weltreich. Alle möglichen Waren fließen in ihr Mutterland – wie Milch und Honig im Schlaraffenland“, schnaubte er. Der Gedanke an das zerrissene Gebiet des Deutschen Bundes brachte ihn erneut in Rage. Das äußerst fragile Gebilde, das nur die gemeinsam empfundene Angst der deutschen Fürstenhäuser vor neuerlichem Machtverlust einte, war aus schlichtem Sicherheitsbedürfnis heraus entstanden. Der Deutsche Bund war zwar als Ergebnis des Wiener Kongresses allenthalben gefeiert worden, doch der lose Staatenbund blieb dem Grafen suspekt, war er doch auch nur ein Ergebnis napoleonischer Eroberungspolitik. Alles, was mit den Franzosen und ihrer Revolution zu tun hatte, verhieß ihm nichts Gutes.
Aber es schlugen zwei Herzen in seiner Brust. Zum einen behinderte ihn die Kleinstaaterei mit ihren 38 willkürlichen Zollgrenzen persönlich am wirtschaftlichen Fortkommen. Zum anderen war es gerade die Zersplitterung des deutschen Territoriums, die ihm den größtmöglichen politischen Einfluss garantierte. Der Graf gab sich keinen Illusionen hin. Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg-Schwerin käme in einem geeinten deutschen Königreich keine wichtige Rolle zu. Und mit dem Machtverlust seines Landesherrn verlöre auch er den Handlungsspielraum, der ihm jetzt so wichtig war, um die eigenen Interessen wahren zu können. Napoleons Sturm über Europa hatte nicht nur Fremdherrschaft mit sich gebracht, auch der Geist der Revolution war über die Grenzen der Grande Nation geschwappt. Im benachbarten Preußen war man schon seit vier Jahren damit beschäftigt, eine landwirtschaftliche Reform umzusetzen, deren Kernstück die Abschaffung der Leibeigenschaft war. Auch die Juden hatten von dem freiheitlichen Grundgedanken der Revolution profitiert. Napoleon hatte sich für die Judenemanzipation eingesetzt und unter dem Druck der Besatzung seiner Truppen waren den Juden erstmals Bürgerrechte per Gesetz zugestanden worden, so auch geschehen im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin.
Der Graf, gedanklich
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