Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
ihm, sein Patient habe ohne Rücksicht auf die drückende Hitze des Nachmittags einen schweren Zylinderhut getragen, der sicherlich im Nebenzimmer nebst Spazierstock und einem Paar Handschuhen auf seinen Besitzer wartete. Zudem drohte die Leibesfülle des Herrn ein, zwei Knöpfe vom Wams zu sprengen.
Ahrens wollte keinesfalls besserwisserisch darauf aufmerksam machen, die beklagte Atemnot könne mit der unangemessenen Bekleidung zusammenhängen. Er widmete sich dem Leiden seines Patienten mit jener Sorgfalt, die er von sich gewohnt war. Nach gründlicher Untersuchung von Puls, Herzschlag und Atmung verschrieb er seinem Patienten eine Arznei, die aus Gänsefingerkraut, Bibernellewurzel und Rautenblättern bestand, mit der Anordnung einen Absud daraus zu bereiten und ihn warm zu trinken.
„Sie sollten sich bei dem Wetter schonen, mein Herr.“ Er sah kurz von dem Rezept auf und suchte den Blick seines Patienten. „Wenn sich Ihre Beschwerden wiederholen sollten, schicken Sie bitte einen Boten. Ich werde Sie dann aufsuchen.“
„Steht es denn so schlimm um meine Gesundheit?“
„Nun, das weiß Gott allein.“ Ahrens lächelte liebenswürdig. „Ich kann Ihnen nur gut gemeinte Ratschläge erteilen. Bei einem akuten Anfall nehmen Sie am besten heiße Fuß- und Handbäder. Bei Atemnot haben sich auch heiße Umschläge auf Brust und Leib bewährt. Sind Sie verheiratet?“
„Hat meine Frau etwas damit zu tun?“, fragte der Patient aufgeschreckt.
„Nein, nein!“ Ahrens unterdrückte ein Lächeln. Er wusste, viele Leute hingen unsinnigstem Aberglauben an. „Ich frage nur, ob Sie jemanden haben, der Ihnen den Rücken einreiben kann.“
„Ach so. Ja, ja, meine Frau ist sehr besorgt um mich. Sie liest mir jeden Wunsch von den Augen ab.“ Selbstgefällig streichelte der Patient über die Wölbung seines Bauches, an dessen Umfang die Kochkünste seiner Ehefrau gewiss entscheidenden Anteil hatten.
„Gut, dann schreibe ich Ihnen noch einen Beutel Salbeitee auf. Bitte geben Sie die Anweisung für die Zubereitung einer Einreibung an ihre Frau weiter. Es sind jeweils 4 Esslöffel Salbeitee und 4 Esslöffel frisch zerlassene Butter zu vermischen und auf Brust, Rücken und Schulterblätter zu verteilen. Ach übrigens, kennen Sie meinen Kollegen, Professor Doktor Vogel?“
„Gewiss, aber der weilt zurzeit nicht in der Stadt.“
„Gönnen Sie sich Ihrer Gesundheit zuliebe eine Konsultation des Spezialisten. Oder besser noch – schlagen Sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe, indem Sie eine Badekur mit Kaltwasser in Doberan machen. Wie Sie fraglos wissen, ist mein ehrenwerter Kollege dort Badearzt und nach seiner Kenntnis ist so eine Kur besonders angebracht und Erfolg versprechend bei Asthma bronchiale.“ Ahrens unterbrach seine Empfehlung und suchte im Gesicht seines Patienten nach Zustimmung. Er fand sie und fuhr fort: „Seit dem letzten Jahr wurde dort auch eine Herde Eselstuten angeschafft. Eselsmilch wirkt nämlich in Ihrem Fall besonders stärkend und beruhigend. Und wenn unser Landesherr Professor Vogels Meinung vertraut, ist das bestimmt die beste Empfehlung.“
Der so beratene Patient bezahlte. Er verließ mit der festen Absicht die Praxis, den jungen Arzt auch seinen Freunden ans Herz zu legen.
Ahrens blieb, nachdem die Tür des Behandlungszimmers zugefallen war, eine Weile in Gedanken versunken am Schreibtisch sitzen. Er wartete auf das Klopfen des nächsten Patienten. Als es jedoch ausblieb, schlug er ein großes, in schwarzes Leder gebundenes Buch auf. Sorgsam notierte er Datum, die Namen seiner Besucher, ihre Leiden, entsprechende Symptome, Diagnosen sowie zur Anwendung empfohlene Therapien.
In einem anderen Buch vermerkte er die Einnahmen des Nachmittags, mit denen er heute nicht zufrieden war. Er tröstete sich, schrieb dies einfach den Auswirkungen der großen Hitze zu und dachte mitfühlend an seinen letzten Patienten, der in seiner Garderobe buchstäblich im eigenen Saft geschmort hatte. Da er den Eid auf Hippokrates geschworen hatte, konnte er sich bei allen finanziellen Notwendigkeiten nicht wünschen, die Leute setzten sich auf dem Weg zu ihm der Gefahr eines Hitzschlages aus.
Er stand auf und trat an ein Fenster. Sein Untersuchungszimmer lag im ersten Stock eines aus dicken Mauern errichteten Hauses. Die Fensterlaibungen bildeten tiefe Nischen. Ahrens musste sich weit vorbeugen, wenn er einen Blick auf die Gasse werfen wollte. Seine Vermutung bestätigte sich. Dort unten huschten nur
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