Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
entschuldigte sich hie und da und arbeitete sich so bis zu Doktor Ahrens vor.
„Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind“, begrüßte der Arzt seinen Gast. „Wollen Sie zu Ihrem Bier auch etwas essen? Die Küche hier ist recht gut.“ Ahrens wartete nicht erst auf Franz’ Zustimmung, sondern winkte die Bedienung herbei. Eine dralle Frau, die einige Krüge Bier vor ihrem üppigen Busen schleppte, stellte Franz unaufgefordert ein Gebräu vor die Nase und wartete auf seine Wünsche. Als Franz keine Bestellung parat hatte, wurde sie ungeduldig: „Måk all, min Söten, ik heff nich väl Tiet för di.“
„Das Fischgericht, nehmen Sie das Fischgericht, der Fisch ist immer frisch“, wurde Franz ermuntert.
„Gut, dann bringen Sie mir bitte den Fisch.“
Die Bedienung zwinkerte Franz zu und entfernte sich mit beachtlichem Hüftschwung. Die beiden jungen Männer starrten der Frau nach. Verlegen darüber, den jeweils anderen bei unschicklichen Gedanken erwischt zu haben, sprach man gemeinsam dem kühlen Bier zu.
Das Buch, das bei ihrem Zusammenprall auf der Straße gelandet war, lag unaufgeschlagen auf dem Tisch. Ahrens bemerkte Franz’ fragenden Blick. Er lachte: „Nein, nein! Ich habe nicht vor, in dieser dunklen Kaschemme zu lesen. Schon gar nicht in Ihrer Gesellschaft. Ich will es nur mit nach Hause nehmen.“
„Sie beschäftigen sich mit Mechanik?“
„Medizin und Mechanik schließen einander nicht aus, wissen Sie. Im vergangenen Jahr habe ich eine Maschine zur Heilung von Oberschenkelhalsbrüchen entwickelt. Sie leistet mir in meiner täglichen Praxis hervorragende Dienste.“
Franz war beeindruckt, konnte sich aber die Wirkungsweise besagter Maschine nicht vorstellen. Jedoch auf eine Erklärung brauchte er nicht lange zu warten.
„Bei Frakturen von Extremitäten, besonders der stark bemuskelten Beine, verursachen die kontrahierenden Kräfte der Muskeln sehr oft Probleme. Die Muskeln und die Verbindungen zwischen Muskeln und Knochen, die Sehnen, müssen erst gestreckt werden, damit man gebrochene Knochen einwandfrei richten kann. Dank meiner Maschine müssen solche Patienten den Rest ihres Lebens nicht mehr als Krüppel verbringen.“
Das Essen wurde aufgetischt. Erst jetzt bemerkte Franz seinen Hunger. Beim Anblick der Fischpfanne mit gerösteten Kartoffeln lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Der Arzt nahm Rücksicht auf Franz’ Appetit. Er verzichtete auf weitere detaillierte medizinische Ausführungen.
„Haben Sie bereits gespeist?“, fragte Franz seinen Tischgenossen.
„Meine Frau nähme es mir sehr übel, wenn ich ihre Sorge um mich nicht zu würdigen wüsste.“
„Oh, Sie sind verheiratet.“ Die Feststellung war selbstredend nicht sehr geistreich. Franz ärgerte sich über sein Geplapper. Während er schweigsam sein Abendbrot vertilgte, übernahm Doktor Ahrens die Konversation.
„Ja, wie heißt es doch so schön, jung gefreit, hat nie gereut. Ich hoffe, das Sprichwort schließt auch mich und meine Frau ein.“ Er prostete Franz mit seinem Krug zu. „Wollen Sie in Rostock Geschäfte tätigen, die Ihre Bezüge aufbessern?“, fragte er dann sehr direkt.
„Nein, ich bin auf der Suche nach meinem verschwundenen Bruder.“ Franz wunderte sich, wie selbstverständlich ihm der Satz über die Lippen gekommen war. Ahrens hob seine Brauen und musterte Franz interessiert. Franz zog das Rezept aus seiner Rocktasche und schob es über den Tisch.
„Ich muss zugeben, ich sitze nicht nur wegen Ihrer freundlichen Einladung hier, ich erhoffe mir von Ihnen einige Auskünfte.“
Ahrens nahm den Zettel vom Tisch und schaute überrascht auf. „Der Herr wollte uns beide zusammenstoßen lassen, um Ihnen die Nachforschungen zu erleichtern. Wo haben Sie das her?“
„Es stammt aus der Wohnung meines Bruders Johann. Sie erinnern sich? Ich habe mich bei Ihnen nach der Straße erkundigt.“
„Richtig. Warum hat Ihr Bruder es nicht eingelöst?“, fragte Ahrens verwundert, dabei wendete er das Rezept wie ein Relikt aus alter Zeit vorsichtig hin und her.
„Das habe ich mich auch gefragt.“
„Johann, ich meine, Ihr Bruder ist verschwunden, sagten Sie?“
„Ja, mein Vater hat seit April kein Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Johann hat die diesjährigen Prüfungen an der Universität versäumt und in seiner Wohnung ist seit Wochen kein Mensch mehr gewesen.“
„Das ist in der Tat seltsam. Ihr Bruder ist demnach Student. Hat er vielleicht vorgehabt, sein Studium in einer
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