Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
aufmerksam machte.
Der Kaufmann war gerade bei seiner Lieblingsbeschäftigung, beim Zählen der Münzen, die in seiner Kasse klimperten. Aber er tat es nicht, um sich am kalten Silber zu berauschen, nein, er hatte die Summe vieler Einzelpositionen im Kassenbuch zu überprüfen.
Die Tür zum Kontor ging auf. Borgwart sah kurz auf und nickte der gesetzten Gestalt seines Buchhalters Düsterbarg zu. Düsterbarg schnaufte, als er die paar Stufen zum Kontor hinaufstieg. Hinter dem Mann entdeckte Borgwart einen jungen Burschen. Aber er schloss erst seine Arbeit gewissenhaft ab, dann wendete er sich seinem Buchhalter zu.
„Guten Morgen, Herr Borgwart, Sie erinnern sich gewiss! Das ist der jüngste Sohn des Ratsherrn Pries, mit dem Sie einen Ausbildungskontrakt geschlossen haben.“
Der Buchhalter kannte den Kaufmann aus seiner bald zwanzigjährigen Tätigkeit für das Handelshaus Borgwart genau. Er wusste, der alte Herr vergesse keine seiner Verpflichtungen.
Der Junge machte eine Verbeugung, blieb mit der Mütze in der Hand stehen und wartete.
„Ah, wieder so ein dummer Junge, dem man in mühevoller Kleinarbeit die Geheimnisse des Handels beibringen muss, der junge Andree Pries, richtig?“
Der Angesprochene nickte hastig und duckte sich nach der nicht sehr verheißungsvollen Begrüßung.
„Kommt nur näher, mein lieber Sohn.“ Borgwart winkte dem eingeschüchterten Lehrling einladend zu. „Sie stehen hier auf der Schwelle zu einem neuen Leben und wenn Sie sich gut halten, so wird es Ihnen auch gut gehen, aber das findet sich alles später!“
„Später, später!“ Die bedeutsame Wiederholung entschlüpfte dem Buchhalter, der sich bei der Einführung des neuen Handelsbeflissenen wohl an die eigene Lehrzeit erinnerte.
„Vor allen Dingen will ich Sie gleich mit Ihren Arbeiten vertraut machen. Arbeit ist unser Los, Arbeit ist unsere Bestimmung, mit Arbeit verdienen wir die Butter aufs Brot.“
Borgwart tat so, als fiele es ihm schwer, für das tägliche Brot aufzukommen, doch ein Blick in das Geheimbuch, das selbstverständlich an anderer Stelle verwahrt wurde, erschlösse auch dem Uneingeweihten, in diesem Hause wurde Geld verdient. Doch niemand außer Borgwart selbst war der Blick auf Aktiva und Passiva gestattet. Freilich verzeichneten die Konten nie so viel, wie es sich der Prinzipal erträumte, doch er konnte sich glücklich schätzen, die Kontinentalsperre und die erdrückenden Kriegskontributionen glimpflich überstanden zu haben. Es war ein neues Handelszeitalter angebrochen, das es zu nutzen galt.
„Sie werden ab morgen Ihren Tag folgendermaßen beginnen. Steht in aller Frühe auf und verrichtet das Gebet gegenüber demjenigen, dem Sie Ihre Seele anempfehlen. Dann geht auf die Post und erklärt den Beamten, Sie wären der neue Lehrling des Herrn Borgwart und wünscht die Briefe an den Selbigen zu erhalten. Das erste Mal wird Sie jemand aus meinem Kontor dorthin begleiten, damit Sie bei den Beamten ausreichend legitimiert sind.“ Borgwart überprüfte mit einem Blick, ob Andree folgen konnte.
„Die Briefe, diese viereckigen, weißen Geheimnisse, ergreift sie sorgfältig und überbringt sie in entsetzlichster Hast sofort in dieses Haus und übergebt sie mir persönlich.“
Andree nickte zum Zeichen, dass er verstanden habe.
„Sie dürfen keine Minute zu lange auf der Straße verweilen, nichts darf Sie aufhalten oder ablenken, selbst wenn die Welt aus den Fugen geraten sollte, so müssen Sie doch erst in mein Kontor laufen, um mir die Briefe auszuhändigen. Es wäre entsetzlich, wenn Sie jemals in diesem Punkt nachlässig wären, denn seht, von diesen Briefen hängt alles ab, also merken Sie sich das!“
Nur das Kratzen der Feder des Buchhalters wagte die Stille nach den eindrücklichen Worten zu unterbrechen. Borgwart hob den Zeigefinger und fuhr in seiner Belehrung fort. „Haben Sie die Briefe überbracht, so wenden Sie sich an den Buchhalter und fragt ihn, ob er Wechsel einzukassieren habe.“ Dann geriet der Lehrherr doch tatsächlich ins Plaudern. „Die Wechsel des Lebens sind vielfältig: Solawechsel, das sind die von mir ausgestellten, mein Sohn, Tratten sind auch auf mich bezogen und dann gibt es natürlich noch protestierte, manchmal sind sie betrüblich und manchmal erfreulich. Die Protestwechsel gehören zu den betrüblichsten und die besten sind die, die ich nicht zu bezahlen habe.“ Er lachte über den Witz, dann fuhr in dem Stile fort, der ihm eigen war: „Glücklich ist der
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