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Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)

Titel: Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Herbst
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seufzte theatralisch. „Johanna, Kleines, du musst keine Angst haben. Wenn du nicht baden willst – kein Mensch zwingt dich dazu.“
    Die Baronin lächelte liebenswürdig und Johanna konnte den Kloß endlich hinunterschlucken, der ihr im Hals gesteckt hatte.
    „So, und nun schlage ich vor, wir konzentrieren uns auf die Mahlzeit, sonst wird es Mittag und wir sind noch nicht auf der Straße.“ Mit gutem Beispiel vorangehend löffelte Madame ihren Teller leer.
    Johanna griff sich eines der kleinen weichen Weizenbrötchen und brockte es in die Suppe. Dabei schaute sie mitleidig zu Margitta hinüber, die nach ihrer Meinung nicht aus dem auferlegten Badezwang entlassen worden war. Wozu sollte Baronin von Plessen sonst an die Ostsee reisen, wenn sie nicht ihre angegriffene Gesundheit durch Seebäder kurieren wollte. Johannas Blick schweifte hinüber zu Elvira, die etwas zu steif am Tisch saß und angestrengt damit beschäftigt war, Gleichmut vorzutäuschen. Johanna war etwas schadenfroh, weil ihre Gouvernante stets darauf geachtet hatte, ihr Mündel möge niemals den Rock zu hoch raffen. Nur nicht dem einen oder anderen männlichen Beobachter einen Blick auf die entblößte Mädchenwade gestatten, hatte sie mit erhobenem Zeigefinger gesagt. Bei ihren Überlegungen fiel Johanna auf, die Erwachsenen machten mehr Aufhebens um die Beine der Frauen, die züchtig bedeckt zu sein hatten, wohingegen der viel weiblichere Busen gern mit Tricks und Raffinements ins rechte Licht gerückt wurde. Johanna sah plötzlich die eigene Mutter vor sich. Eines Abends war sie zum Gutenachtkuss in einem Kleid erschienen, das an ein antikes Gewand einer sonnenverwöhnten Römerin erinnerte. Es war so freizügig geschnitten und transparent gewesen, Mutter hatte nur ein hautfarbenes Unterhemd darunter tragen können. Damit war sie jedoch keineswegs ins Bett gegangen, sondern auf eine Gesellschaft. Elfengleich war sie aus der Kammer ihrer Tochter geschwebt.
    Bedauernd schaute Johanna an sich hinunter. Heutzutage hatten es junge Frauen viel schwerer, Blicke potentieller Verehrer auf sich zu ziehen. Außer beim Nacktbaden natürlich, schränkte sie ein.
    Johanna schrak aus ihren Gedanken auf, als Baronin von Plessen ihre Serviette schwungvoll auf den Tisch warf, sich erhob und damit das Signal zum Aufbruch gab.
     

Handel und Wandel
     
    In Kontorhaus und Speicher in der Rostocker Großen-Mönchen-Straße schlug das Herz des Kaufmannsreiches eines gewissen Heinrich Borgwart.
    Das eigentliche Kontor war über einen direkten Zugang vom Torweg zu erreichen. Gleich neben besagter Tür zum Kontor tat sich ein großes Fenster auf. Kein Mann, kein Fuhrwerk, kein Ballen Stoff und kein Sack Korn passierte das Kontor unbemerkt. Darüber wachte Tag für Tag mit nicht nachlassender Aufmerksamkeit das wohlhabende Mitglied der Rostocker Kaufmannsgilde: Heinrich Borgwart.
    Die Morgensonne fiel durch eingestaubte Fenster der Straßenfront. Ihr Licht erhellte ein fleckiges Schreibpult, auf dem frisch zubereitete Tinte, Sandbüchsen, Gänsekiele, Federmesser und natürlich Papier beieinanderlagen und auf vielfachen Gebrauch warteten.
    Ledergepolsterte Dreifüße, hoch genug, um Schreibern und Buchhalter eine bequeme Benutzung des Pultes zu ermöglichen, standen um das eisenbeschlagene mit vielen Schubfächern versehene Kontormöbel herum. Tintenkleckse, Messerkerben und von der Sonne gedunkeltes Holz waren beredte Spuren für dessen emsige Benutzung.
    Die nicht mehr weißen Wände des Allerheiligsten schmückten bunte Landkarten, die dem Prinzipal und seinen Angestellten die Entfernungen der weit reichenden Handelsbeziehungen kenntlich machten, sobald es gewünscht wurde. Im Kontor schwebte der Geruch von trockenem Staub und Siegelwachs.
    Der Prinzipal Borgwart war stets der Erste, der den Dienst aufnahm.
    Sein scharf geschnittenes Gesicht beherrschte eine imposante leicht gebogene Nase, die er gern bei jeder möglichen Gelegenheit streichelte. Sein dichtes, bereits ergrautes Haar trug er ordentlich nach hinten gekämmt. Den altmodischen Zopf hatte er zwar schon vor einigen Jahren abschneiden lassen, und war dabei dem Beispiel seiner Zeitgenossenen gefolgt, aber die ins Gesicht frisierten Strähnchen litt er nicht. Vielleicht eignete sich sein Haar nicht zu der Mode. Alles, was seiner würdevollen Erscheinung abträglich wäre, mied er, deshalb widersetzte er sich auch eisern seinem Barbier, wenn der ihn wieder und wieder auf seine nicht zeitgemäße Frisur

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