Weiße Nebel der Begierde
Harte.«
»Danke, Mr MacNeill. Mr Maclean meinte, er würde ein zweites Paar fertig haben, wenn Sie das nächste Mal aufs Festland kommen.«
»Ich werde sie bestimmt bei ihm abholen.«
Eleanor nickte dankbar und gesellte sich zu Juliana.
Es war ein wunderbarer Tag gewesen trotz des ungehobelten Benehmens von Maclean, Mrs Maclver und den anderen Stadtbewohnern. Im Laufe des Tages konnte Eleanor des Öfteren feststellen, dass Juliana ihr wirklich zuhörte und dass sie sich nicht vollständig in ihre Welt des Schweigens zurückgezogen hatte. Eleanor freute sich, dass es ihr immer besser gelang, das Kind zu erreichen, und wertete das als Zeichen dafür, dass sie noch weitere Fortschritte erzielen könnte.
»Juliana«, sagte sie, als sie sich neben ihr auf der schmalen Bank niederließ, »ich möchte dir etwas zeigen.«
Eleanor wickelte das kleine, ausziehbare Fernglas aus dem Stoff, das sie als Letztes im Kurzwarenladen gekauft hatte.
»Weißt du, was das ist?«
Juliana nahm das Messinggebilde in die Hand und betrachtete es eingehend, drehte es etliche Male herum und richtete dann den Blick auf Eleanor.
»Man nennt so etwas ein Fernglas.« Eleanor nahm es ihr ab und zog es zur vollen Länge von etwa fünfzig Zentimetern aus. Die Neugier, die in Julianas Augen aufblitzte, war der schönste Lohn.
»Man schaut durch das schmale Ende, und dann sieht man Dinge, die ganz weit weg sind, viel näher.« Sie deutete auf die Insel Kerrera, als sie daran vorbeisegelten. »Hier, warum versuchst du’s nicht mal?«
Eleanor lehnte sich zurück und sah zu, wie Juliana das Fernglas ans Auge führte und es auf den Horizont richtete. Sie zog die Augenbrauen zusammen, so sehr konzentrierte sie sich, dann ließ sie das Fernglas sinken und schaute mit bloßem Auge. Das wiederholte sie etliche Male, um zu vergleichen, wie weit das, was sie sah, wirklich weg war, und wie nah es ihr durch das Fernglas vorkam.
»Erstaunlich, nicht? Gefällt es dir?«
Juliana starrte sie an, aber aus ihren Augen sprach helle Begeisterung.
»Dann gehört es dir.«
Juliana rührte sich eine ganze Weile nicht. Dann geschah etwas Unfassbares.
Sie lächelte.
Es war kein breites, strahlendes Grinsen, sondern ein schüchternes, vorsichtiges Lächeln von jemandem, der zu lange nicht mehr gelächelt hatte. Eleanor dachte, dass sie mit Freuden den Preis für hundert Ferngläser bezahlt hätte, nur um dieses Glück auf Julianas Gesicht zu sehen.
»Schau mal.« Eleanor deutete auf einen Punkt und Juliana spähte wieder durch das Glas. Eleanor lehnte sich zurück, genoss den Wind auf ihrem Gesicht und das Gefühl der Freiheit auf dem Wasser. Erst jetzt merkte sie, dass Lord Dunevin ihnen gegenübersaß.
Er betrachtete seine Tochter und ihr Lächeln und war sich nicht bewusst, dass Eleanor ihn musterte. Aus seinem Blick sprach Zärtlichkeit und eine solche Sehnsucht, dass Eleanor glaubte, sie mit Händen greifen zu können.
Dies war nicht das Gesicht eines Mannes, der nichts für sein Kind empfand. Lord Dunevin liebte Juliana mit der zarten Bewunderung eines echten Vaters, aber aus unerfindlichen Gründen wollte er nicht, dass irgendjemand etwas davon merkte.
Eleanor hatte nur noch einen Gedanken.
Warum? Was brachte ihn dazu, seine Zuneigung zu verbergen? Fürchtete er sich davor, anderen zu zeigen, wie er in seinem tiefsten Inneren fühlte?
Kapitel acht
Die Überfahrt zur Insel verlief ereignislos. Sie segelten einem leuchtenden Sonnenuntergang entgegen; der Himmel strahlte in Rosa, Orange und Tiefrot über dem ruhigen grauen Wasser, das wie Glas in diesem Licht schimmerte.
Der Anblick von Trelay, eingehüllt von Dunst und vielfarbigem Licht, war so überwältigend schön, dass Eleanor ehrfürchtig auf dem Deck stand, während sie der Anlegestelle über das dunkle Wasser entgegenglitten.
Die Rückfahrt schien länger zu dauern als die Hinfahrt, und es war bereits dunkel, als sie ins Schloss kamen.
Sie wurden mit einer schlichten Mahlzeit aus Gerstenmehlkuchen, Käse und gebratenem Hühnerfleisch begrüßt, von Mairi für ihre Rückkehr zubereitet. Mairi erkundigte sich, wie der Ausflug verlaufen sei, und war begeistert von Julianas neuem Fernglas. Dann erstattete sie Gabriel Bericht über alles, was sich während seiner Abwesenheit im Schloss ereignet hatte.
Gleich nach dem Abendessen zeigten die Anstrengungen des Tages ihre Wirkung. Alle hingen ihren eigenen Gedanken nach, gähnten und bekamen schwere Lider.
Sie zogen sich früh zurück, kurz vor
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