Weiße Stille
erinnert ihr euch an den Tag, als ich nach der Obduktion in Golden hierher zurückgekommen bin? Und wie bei der Obduktion die Flüssigkeit vom Seziertisch auf meine Stiefel getropft ist?«
»Wer könnte ein solch angenehmes Erlebnis je vergessen«, sagte Robbie.
»Salem Swade, der Vietnamveteran, der oben in den Bergen wohnt … sein Hund hat gebellt, als ich die Eingangshalle betrat. Aber der Hund hat nur mich angebellt, niemanden sonst.«
»Ja, und?« Colin runzelte die Stirn.
»Das hat mich stutzig gemacht«, fuhr Ren fort. »Leichenspürhunde sind darauf abgerichtet, auf den Geruch von Leichen zu reagieren.«
»Daher der Name«, spöttelte Colin. »Worauf willst du eigentlich hinaus?«
»Nun, Cliff hat gesagt, dass der Leichenspürhund sich an demTag in den Schnee gesetzt und gebellt hat, um auf diese Weise zu signalisieren, dass er eine Witterung aufgenommen hat. Ich habe die Hundeführerin angerufen. Sie hat mir erklärt, dass Leichenspürhunde sich tatsächlich genau so verhalten. Der Hundeführer belohnt sie dann mit einem Leckerbissen.«
»Und was hat das mit Salem Swades Hund zu tun?«, fragte Colin.
»Gestern Abend, als ich meine neuen Stiefel trug, hat er nicht gebellt.«
»Ja, und?«, fragte Robbie.
»Erinnerst du dich an die Pfotenspuren, die du auf dem Schneefeld am Quandary Peak fotografiert hast? Ich glaube, irgendjemand, der von Mistys Begabung als Leichenspürhund weiß, hat ihn aus Salem Swades Hütte geholt – Salem war in der Nacht nicht zu Hause – und ist mit ihr zum Schneefeld hinaufgestiegen, um nach der Leiche zu suchen. Und Misty könnte sie tatsächlich gefunden haben.«
Colin rieb sich das Kinn. »Interessante Theorie. Aber wer könnte das gewusst haben? Und wer kennt den Hund so gut, dass der einfach mit ihm geht?«
»Ich glaube, jeder in der Stadt kennt Misty«, erwiderte Ren. »Sie bettelt überall und bekommt an fast jedem Restaurant ein paar Happen. Ein Leckerbissen hätte sie dazu gebracht, jedem aus der Stadt hinauf zum Schneefeld zu folgen.«
»Hm, schon möglich«, sagte Robbie.
»Und da ist noch etwas. Es geht um Caroline Quaintance«, sagte Ren. »Es hat sich herausgestellt, dass sie eine Freundin von Jean war. Die beiden haben sich in einem Tierheim kennen gelernt, wo Jean am Wochenende ehrenamtlich arbeitete. Gestern Abend wurde Caroline vor Jeans Haus gesehen. Mir hat sie erzählt, sie wolle nachsehen, ob Jeans Katze noch im Haus ist oder irgendwo herumstreunt, aber ich habe das Gefühl, Caroline verschweigt mir etwas. Sie war seit ungefähr einem Jahr mit Jean befreundet.«
»Was ist das für ein Tierheim?«, fragte Colin.
»Es ist in Rifle und heißt ›Ein Herz für Tiere‹. Einer der Detectives hier erstellt uns eine Liste der Mitarbeiter. Wir werden versuchen, mit allen zu sprechen. Wenn ich Glück habe, erfahre ich, was Caroline Quaintance mir verschwiegen hat.«
Als Ren hinausging, sah sie Todd Austerval auf dem Gang stehen.
»Hallo«, grüßte sie ihn. »Ich weiß nicht, ob Sie neulich von dem Gespräch zwischen mir und Gressett etwas mitbekommen haben … Vor ein paar Tagen in Glenwood, als Sie gerade vom Joggen kamen.«
»Ja, ich hab’s mitbekommen«, sagte Todd. »Ich schätze, Gressett hat Ihnen gesagt, dass ich beim Undercover-Programm keinen Erfolg hatte.«
»Stimmt.«
Todd zuckte mit den Schultern. »Aus irgendeinem Grund erzählt er es gerne herum. Ich glaube, es vermittelt ihm das Gefühl …« Er suchte nach den richtigen Worten.
»Nicht so klein und hässlich zu sein?«, half Ren ihm aus.
Todd lächelte. »So könnte man wohl sagen. Aber Sie hatten damals recht. Ich kann von Glück sagen, dass ich keinen Erfolg hatte.«
»Sie sind ein bisschen überheblich, wissen Sie das? Sie hätten es auch schaffen können …«
Todd lachte. »Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben nichts gesagt, was mich gekränkt hätte.«
»Dann ist es ja gut.«
»So empfindlich bin ich nicht.» Er lächelte. »Außerdem muss ich es jeden Tag mit diesem Idioten aushalten.«
Als Ren an diesem Abend in den Gasthof zurückkehrte, waren die Lichter gedämpft, und das Feuer im Kamin glimmte nur noch. Sie legte sich im Aufenthaltsraum aufs Sofa und zog sich ein Kissen heran. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass noch mehr Leute wach waren, aber die meisten Urlauber brachen früh am Morgen zu den Pisten auf und gingen deshalb zeitig ins Bett.
Ren fielen die Augen zu, und sie sank in einen unruhigen Halbschlaf. In ihrem wirren Traum lag sie auf
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