Weiße Stille
schüttelte den Kopf. »Das ist lächerlich.«
»Ich würde gerne mit Ihnen über Ihre Wohltätigkeitsarbeit sprechen.«
»Nun, es ist eigentlich keine Wohltätigkeitsarbeit …«
»Doch«, beharrte Ren. »Sie schenken Bedürftigen Dinge, die diese Leute brauchen.«
»Stimmt, aber ich gehöre keiner Organisation an.«
»Das weiß ich. Ich möchte aber gerne wissen, wie das abläuft.«
»Ganz einfach. Mein Sohn Jason und ich packen ein paarDinge ein, steigen die Berge hinauf und bringen den alten Männern, die da oben in Hütten oder Zelten hausen, Kleidung, Essen und Getränke.«
»Und wann tun Sie das?«, fragte Ren.
»Ein-, zweimal im Monat, sobald wir genug zusammen haben. Außerdem muss das Wetter mitspielen. Dann gehen wir rauf und klappern die Hütten ab. Kleiderspenden sind besonders wichtig. Wenn es da oben einen Temperatursturz gibt, könnten die alten Männer erfrieren. So etwas ist schon vorgekommen.«
»Sie haben also keine bestimmte Route?«
»Nein. Wir besuchen ja nicht immer dieselben Leute.«
»Aber Sie gehen immer nur mit Ihrem Sohn?«
»Ja. Manchmal nehmen wir auch eine der Aushilfen mit, die bei uns im Geschäft arbeiten. Vor allem diejenigen, die lernen müssen, nicht immer nur an sich selbst zu denken.«
Ren schob ihm ein Blatt und einen Stift hin. »Würden Sie bitte die Tage aufschreiben, an denen Sie die alten Männer im Januar besucht haben? Und mit wem?«
Wardwell zögerte. »Das kann ich Ihnen unmöglich genau aufschreiben. Ich erinnere mich nicht.«
»Versuchen Sie’s.«
Wardwells Schrift war dünn und unsicher, und er zögerte jedes Mal, ehe er schrieb.
»Tut mir leid, das kriege ich nicht richtig hin.«
»Wir kopieren das für Sie, und Sie können mich dann anrufen, nachdem Sie zu Hause Ihren Terminkalender überprüft haben«, sagte Ren. »Wenn Ihnen sonst noch etwas einfällt, rufen Sie mich ebenfalls an.«
Als Wardwell fertig war, nahm Ren ihm das Blatt aus der Hand und überflog es.
»Okay«, sagte sie mit Blick auf die Auflistung. »Wo waren Sie am Abend des fünfzehnten Januar? Das war ein Montag.«
»Warten Sie mal … Ja, da war ich zu Hause. Meine Frau kann es bestätigen.«
»Okay. Wir werden es überprüfen.« Ren atmete tief ein. »Noch einmal zurück zu der Sache mit der Kinderpornografie …«
Wardwell wandte den Blick ab und trommelte mit zwei Fingern der rechten Hand auf sein Schlüsselbein. Seine Lippen bewegten sich fast unmerklich. Ren vermutete, dass er irgendetwas ständig wiederholte, aber so leise, dass man nichts verstehen konnte. Sie starrte auf seine Lippen, die sich unaufhörlich bewegten. Er schwieg fast eine Minute. Dann wandte er Ren den Blick zu, als hätte er sich dazu gezwungen, ihr in die Augen zu schauen.
»Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll«, sagte er. »Eine erwachsene Frau wurde tot aufgefunden …«
»Ich weiß, Mr. Wardwell. Aber Sie sind vorbestraft. Deshalb richtet das Interesse sich ganz von selbst auf Sie, wenn in dieser Gegend ein Verbrechen verübt wird. Okay, ich entnehme den Akten, dass es sich um Illustrierte handelte … mit ähnlichen Bildern wie den Pin-up-Fotos aus den Fünfzigern, auf denen die Frauen in Korsetts und mit Strumpfhaltern in der Küche stehen und verführerisch lächeln. Nur ging es in diesem Fall um die Fotos von Kindern in ganz normaler Kleidung, die ganz alltägliche Dinge tun, zum Beispiel in ein Geschäft gehen. Es waren niedliche Zeichnungen, aber mit verschlüsselten Untertiteln: ›Der kleine John kämpft mit anderen Jungen. Er wird großen Ärger bekommen.‹« Ren schüttelte den Kopf. »Auf der Rückseite stand eine Telefonnummer, die Sie anrufen konnten. Sie gaben die Nummer des Bildes durch und bekamen dann per Post den entsprechenden Videofilm geschickt. Falls jemand die Zeitschrift fand, hatten sie nichts zu befürchten, weil die Zeitschrift einen völlig harmlosen Eindruck machte.
Dann aber haben Polizeibeamte Ihr Haus durchsucht. Die Männer fanden nicht nur die Zeitschriften, sondern auch die Videofilme. Sie trugen Etiketten wie ›Elchjagd /irgendwann in den Siebzigern‹. Eine halbe Stunde bekam man tatsächlich die Jagd gezeigt. Aber dann kam das, was Sie, Mr. Wardwell, wirklich gejagt haben.«
»Das ist fast dreißig Jahre her«, sagte Wardwell. »Ja, ich hatte diese Zeitschriften. Ich hatte es damals auch sofort zugegeben!«
»Nicht sofort. Erst nachdem die Polizei Ihr Haus durchsucht und alles gefunden hatte.«
»Ja, ja. Eher hätte
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