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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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fähig zu Grausamkeit. Aber die Hauptsache in ihrem Leben war dieses alte politische Ideal – das galt ihr mehr als alles andere. Wenn es gelungen war, sie davon zu überzeugen, daß er ein Verräter an der Sache war, die für sie das Wichtigste auf der Welt bedeutete, dann hatte sie sich von ihm abgewandt. Das genügte, um die Gemeinsamkeit der vergangenen Liebe auszulöschen, die Ehe zu beenden und ihn der Vernichtung preiszugeben, so wie man ein faulendes Glied vom Körper trennte. Sie war schließlich Ärztin.
    »Es ist zu dumm«, sagte Judith, als sie zurückkam, »aber Nancy bleibt heute zu Hause. Sie hat auch nicht die Absicht, noch auszugehen. Ich kann sie schlecht dazu überreden, nicht? Sie war so schon etwas befremdet von meiner Frage.«
    Er blickte auf, sah ihr blasses angstvolles Gesicht und lächelte.
    »Es macht nichts«, sagte er. »Jetzt bleiben wir erst noch eine Weile hier sitzen. Ich trinke auch keinen Whisky mehr, ich verspreche es dir.«
    »Wenn ich nur wüsste, was du tun könntest. Das ganze ist wie ein irrer Traum. Gibt es denn niemand, dem du dich anvertrauen könntest. Dein Botschafter? Kann er dir nicht helfen?«
    »Nein.« Sverdlov schüttelte den Kopf und mußte lächeln über ihre Naivität.
    Der Botschafter wußte bestimmt nichts davon, und er würde es nicht wissen wollen. Die Entscheidung, jemand wie Sverdlov zu verhaften, lag weit außerhalb seiner Kompetenzen. Wenn man selbst an der Spitze war, gab es keinen, der einem helfen konnte. Er dachte flüchtig an Panyushkin, der das Oberhaupt des KGB war; er hatte kleine Zeichen von Sympathie empfangen, soweit es bei einem Mann in dieser gottähnlichen Position möglich war. Einmal war er mit Elena zu einem Wochenende am Schwarzen Meer eingeladen worden, in Panyushkins feudalen Landsitz. Es war eine höchst steife und feierliche Angelegenheit gewesen, so als besuche man einen regierenden Monarchen früherer Zeiten. Es wäre vollkommen sinnlos, sich direkt an Panyushkin zu wenden. Er mußte schließlich die Genehmigung zu Kalinins Entführung und Verhaftung erteilt haben. Und diese Tatsache bewies, wo er stand.
    Auch Panyushkin war nicht unsterblich. Sicher hatte er Berija nicht vergessen, den härtesten und am meisten gefürchteten Chef des KGB. Berija fiel, als er die Zeichen der Zeit nicht verstand, als er den Wechsel in der Politik nicht erkannte. Chrustschow und die Liberalen waren es damals, die ihn stürzten. Jetzt ging es anders herum. Wie auch immer. Es war so, wie er zu Judith gesagt hatte: die Jagd begann.
    Panyushkin würde ihn empfangen, würde ihm versichern, daß er nichts zu fürchten habe, und dann würde er hinter dem Vorhang sitzen und zuhören, wenn man ihn folterte.
    »Feodor! Was wirst du tun? Kannst du nicht einfach verschwinden? Ich sagte das vor einigen Tagen schon, ich weiß, und da war es nicht so ernst gemeint – aber jetzt meine ich es ernst. Du gehst hier zur Tür hinaus und verschwindest. – Ich kann dir Geld geben …«
    »Danke, aber das ist nicht möglich. Glaube mir, das wäre niemals möglich. Die Welt wäre nicht groß genug.
    Es gibt nur zwei Möglichkeiten, und ich muß mir rasch überlegen, für welche ich mich entscheide. Entweder ich fahre nach Hause, verteidige mich, so gut ich kann, was sowieso zwecklos ist, und werde erschossen. Oder ich tue, was andere vor mir getan haben, ich bitte um politisches Asyl.«
    Judith verschlug es die Sprache, nachdem er es nun doch gesagt hatte. Natürlich hatte sie daran gedacht, aber nicht gewagt, es auszusprechen. Er selbst mußte davon anfangen.
    »Du kannst mir glauben«, sagte Sverdlov langsam, »wenn ich die geringste Chance hätte, würde ich nach Hause fahren. Aber ich kann genauso gut in mein Zimmer in der Botschaft gehen und mir eine Kugel in den Kopf schießen. Das wäre natürlich der leichteste Weg.«
    »Bitte«, sagte sie, ihre Augen waren dunkel vor Verzweiflung, »bitte, sag das nicht. Sag so etwas nicht. Es macht mich krank.«
    »Es gibt immer mal einen Moment, in dem man denkt, daß es leichter ist zu sterben als zu leben«, sagte er ruhig. Dann lehnte er sich zu ihr, nahm ihre Hand und küßte sie. Die Hand war kalt wie ein Stück Eis.
    »Aber es ist nicht mein Weg. Ist dir schon mal aufgefallen, daß es das Allheilmittel unseres Jahrhunderts ist? Auf alle Probleme der Welt haben wir eine Antwort – Tod. Zu viele Kinder werden geboren – Abtreibung. Zu viele Menschen leben zu lange, eine Last für den Staat, eine Plage für die

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