Weißer Mond von Barbados
Bleistift zur Hand, stotterte ihm die Nummer nach, brachte es durcheinander, rief schließlich: »Warten Sie, warten Sie eine Minute«, nein, sie schrie es ins Telefon, als könne der andere sie nicht verstehen. »Ich habe nichts zum Schreiben hier, einen Moment, bitte bleiben Sie dran, nein, ich meine, ich habe keinen Bleistift, einen Stift zum Schreiben, verstehen Sie, ich muß die Nummer aufschreiben, einen Moment bitte, hängen Sie nicht ab …«
Und dann hatte sie einen Augenbrauenstift aus der Schublade ihres Toilettentisches gegriffen, etwas anderes war nicht da – und dann war die Nummer endlich aufgeschrieben.
Zehn Minuten später hatte sie Sverdlov am Telefon. Ihre Erleichterung war so groß, daß ihr Tränen in die Augen traten und daß sie zuerst kaum sprechen konnte.
»Ich muß dich sprechen, sofort«, die Stimme gehorchte ihr kaum, er verstand sie nicht.
»Es ist schrecklich wichtig! Wir müssen uns sofort treffen.«
Einen Moment blieb es still, sie dachte schon, die Verbindung sei unterbrochen.
Dann sagte er: »Das ist schwierig. Ich bin im Moment sehr beschäftigt. Du weißt, daß ich morgen reise.«
Er schien nicht allein zu sein. Seine Stimme klang unpersönlich.
»Feodor, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Ich flehe dich an, sieh zu, daß du bald fertig wirst, was immer du tust. Wir müssen uns heute abend noch treffen. Hörst du! Du kannst auf keinen Fall morgen reisen!«
»Na gut, wenn es wirklich so dringend ist. Dann also dort, wo wir das letzte Mal waren. In einer Stunde etwa.« Er hängte ein, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
Eine Weile saß sie bewegungslos, sie zitterte. Mühsam drängte sie die Tränen zurück. Jetzt hätte sie vor Erleichterung weinen können.
Er saß schon in der Trattoria, an demselben Ecktisch wie das letzte Mal, ein Glas Whisky vor sich, als sie kam. Er blickte auf und sah ihr entgegen, als sie durch das volle Lokal auf ihn zukam. Es war laut und lärmend, ein großer Tisch voll Italiener feierte irgendein Fest, es roch nach italienischem Essen, Tomaten, Rosmarin, Öl.
Er stand auf, zog ihr einen Stuhl heran und legte für einen Moment seine Hand auf ihre Schulter. Sie schluckte, und dann sagte sie etwas Albernes, sie schämte sich, kaum, daß sie es ausgesprochen hatte.
»Du warst so kurz angebunden am Telefon. Ich hätte dich bestimmt nicht gebeten zu kommen, wenn es nicht so wichtig wäre.«
»Entschuldige«, sagte er. »Ich war in einem Zimmer voller Leute. Und ich war sehr überrascht, daß du anriefst. Wie hast du mich gefunden?«
»Deine Botschaft in Washington gab mir die Nummer. Hör zu, ich bin halb verrückt geworden, weil ich Angst hatte, dich nicht mehr zu erreichen. Du darfst morgen nicht nach Moskau fliegen.«
»Das sagtest du vorhin schon.« Er hielt ihr sein Glas hin.
»Komm, trink einen Schluck. Du bist totenblass. Beruhige dich, und dann erzähle mir, was geschehen ist.«
»Ich hatte einen Besuch heute abend, als ich aus dem Büro kam, wartete sie auf mich. Es war die Amerikanerin, die mit deinem Freund zusammen ist – du weißt doch, wir trafen sie im La Popotte – Memenov oder so. Peter Memenov – so sagte sie. Er hat ihr eine Nachricht geschickt und sie damit beauftragt, mich zu suchen.«
»Was für eine Nachricht?« Seine Stimme klang ganz ruhig, sein Gesicht war unbewegt.
»Sie hatte es aufgeschrieben, aber sie wollte mir den Zettel nicht geben. Ich habe es auswendig gelernt. ›Kalinin ist in der Lubjanka. Sie warten auf dich. Geh auf keinen Fall zurück nach Russland‹ – nein, warte, es hieß anders … ›lass dich auf keinen Fall dazu überreden, nach Russland zu reisen‹.«
»Kalinin ist mein Sekretär«, sagte Sverdlov langsam. »Du bist sicher, daß … du bist ganz sicher, daß es geheißen hat Lubjanka?«
»Ja. Ganz sicher, ich habe den Namen schon gehört. Es ist ein Gefängnis, nicht wahr?«
»Ja. In Moskau. Das Untersuchungsgefängnis des KGB.«
»Sie warten auf dich. Was heißt das?«
Sie umklammerte seine Hand. Und er ergriff ihre Hand, verflocht seine Finger so fest in die ihren, daß es schmerzte. »Das heißt, daß mein Sekretär verhaftet wurde«, sagte er. »Und verhört. Und es könnte bedeuten, daß man mich …«
Er stockte. Sein Gesicht war wie aus Stein – »daß man auch mich in die Lubjanka schickt, wenn ich zurückkomme.«
»Oh, mein Gott«, flüsterte Judith. »Bloß wegen dieser Scheidung …«
»Nein«, er schüttelte den Kopf. »Mit der Scheidung hat das nichts zu
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