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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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geborgen. Und sie hätte immer so sitzen bleiben mögen, wenn das ein Schutz für ihn sein könnte. Denn nichts durfte ihm geschehen, niemand durfte ihn verletzen, ihn quälen, ihn töten. Er sollte am Leben bleiben, er sollte da sein. Dieses Gefühl, dieser Wunsch waren so stark, so überwältigend, daß ihr Tränen in die Augen stiegen. Keine Liebe – was war es denn? Sie grub vorsichtig mit einer Hand in der Tasche nach einem Taschentuch.
    Er war so sicher, daß Richard ihnen helfen würde, doch sie traute Richard nicht. Und natürlich hatte sie alles ganz falsch gemacht, diese aggressive und hochfahrende Art, in der sie mit Richard gesprochen hatte, das war natürlich töricht gewesen. Sie kannte doch Richard, wußte, wie eitel er war. Sie hätte ihn bitten müssen, hätte die Schwache und Hilflose spielen müssen, das hätte ihm gefallen. Und es war falsch gewesen, immer von einem Freund zu reden – das hatte seinen Stolz verletzt, ihn vielleicht sogar eifersüchtig gemacht.
    Im Geist memorierte sie ihr Gespräch mit Richard, änderte ihre Sätze, seine Antworten. Ganz, ganz falsch hatte sie alles gemacht. Und sie begann den stummen Dialog aufs neue. Und dazu Feodor, der so unvernünftig war, immer noch lachte und alberne Witze machte. Sie mußte ihm einmal energisch sagen, was sie davon hielt.
    Nein – sie wußte es besser. Es war eine Art Selbstschutz für ihn. Er hatte ja Angst. Er kannte die Gefahr. Sein fahles, übermüdetes Gesicht, der zuckende Nerv an seinem Mund, die Ringe unter seinen Augen und jetzt dieser erschöpfte Schlaf an ihrer Schulter, das alles sprach eine deutliche Sprache.
    Wenn doch bloß – o Gott, wenn doch bloß …
    Volltönendes Crescendo der Musik, dann ging das Licht an. Der Film, was immer für einer es gewesen sein mochte, war zu Ende.
    Sie bewegte sich vorsichtig, er erwachte und saß sofort kerzengerade. »Tut mir leid«, sagte er, »eigentlich wollte ich ja mit dir schmusen.«
    »Du warst todmüde. Sicher hat es dir gut getan, ein bißchen zu schlafen.«
    »War der Film gut?«
    »Ich weiß nicht. Ich hab' nicht aufgepaßt. Feodor, ich hab' mir etwas überlegt. Am besten wird es sein, du ziehst zu mir, bis wir etwas erfahren.«
    »Und deine Freundin Nancy?«
    »Ich werde ihr sagen, du bist der Ersatz für Richard. Sie wird keine Fragen stellen. Ich kümmere mich ja auch nicht darum, was sie treibt. Jeder lebt sein Leben für sich. Ich kann ja sagen, du bist ein ›Weißrusse‹.«
    Er fing an zu lachen. Er lachte so laut, daß die Leute sich herumdrehten und zischten, denn mittlerweile hatte ein neuer Film begonnen.
    »Das ist mein Freund Feodor Sverdlov, der Weißrusse. Oh, Darling, was für ein Dummchen du bist. Komm, wir gehen. Ich habe noch zu tun. Und morgen bekommst du Nachricht aus Washington.«
    Er brachte sie in einem Taxi nach Hause, und unterwegs küßte und umarmte er sie ununterbrochen, so ungestüm und wild, daß sie schließlich ärgerlich wurde. Es war nicht mehr vernünftig mit ihm zu reden. Immerzu wiederholte er ihren Ausspruch von dem Weißrussen, und dann lachte er wieder.
    Erst als sie im Bett lag, verstand sie auf einmal, warum er nicht mitgekommen war. Sie hatte ihm angeboten, bei ihr zu sein, mit ihr zu schlafen. Das, was er die ganze Zeit gewollt hatte. Und nun, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, hatte er es abgelehnt.
    Er war in größerer Gefahr, als er zugeben wollte. Und er wollte sie nicht gefährden. Das war es. Ein kleines Apartment in Manhattan, in dem sich zwei Frauen befanden, würde seine Leute nicht davon abhalten, ihn dort herauszuholen. Er zog es vor, in der Botschaft zu bleiben. Dort war es seine Gefahr. Aber nicht ihre. Ihr konnte nichts geschehen.
    Die Tage vergingen; Sonntag, Montag, und immer noch kein Anruf von Richard Paterson. Sie stürzte sich in die Arbeit, mit aller Kraft, die noch in ihr war. Sie verließ auch zum Lunch das Büro nicht, holte sich Kaffee aus dem Automat, der im Gang stand. Jederzeit konnte ein Anruf kommen. Es mußte einer kommen.
    Sie machte viele Fehler beim Diktat, Nielson mußte mehrmals wiederholen.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Judith immer wieder.
    Und dann das Telefon in ihrem Büro. Sie blickte Nielson bittend an, rannte hinaus, ohne ein Wort zu sagen. Sie war so aufgeregt, daß sie einfach »Richard!« sagte, als sie den Hörer in der Hand hielt.
    »Mrs. Farrow?«
    Sie krampfte die Hand um den Hörer. – Loders Stimme. »Ja«, flüsterte sie. »Ja, ich – ich habe versucht,

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