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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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keine Notiz von mir. »Muss er sehr viel reisen, Ihr Mann? Wie hieß er noch? Ron?« Sie drehte eine meiner Haarsträhnen um ihren kleinen Finger, hielt mich unter Kontrolle.
    »Er ist dauernd unterwegs«, gab Claire zu. »Noch nicht mal Weihnachten war er zu Hause.« Schon wieder spielte sie mit diesem Granatherzen herum und schob es an der Kette hin und her.
    »Das muss ja sehr einsam für Sie sein«, sagte meine Mutter. Mit trauriger Stimme. So mitfühlend. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und davongelaufen, doch ich würde Claire niemals hier mit ihr allein lassen.
    »Das war es«, sagte Claire. »Doch jetzt habe ich ja Astrid.«
    »So ein wunderbares Mädchen.« Meine Mutter strich mir mit ihrem von der Arbeit rauen Finger über die Wange und kratzte mir dabei absichtlich über die Haut. Ich war eine Verräterin. Ich hatte meinen Meister verraten. Sie wusste genau, weshalb ich Claire vor ihr verborgen gehalten hatte. Weil ich sie liebte und sie mich liebte. Weil ich jetzt die Familie hatte, die ich schon die ganze Zeit hätte haben sollen; die Familie, die meine Mutter nie für wichtig gehalten hatte, die sie mir nie hatte geben können. »Astrid, würde es dir etwas ausmachen, uns für einen Moment allein zu lassen? Ein paar Worte unter Erwachsenen.«
    Ich schaute von ihr zu meiner Pflegemutter. Claire lächelte. »Geh ruhig. Nur für eine Minute.« Als sei ich ein Kleinkind, das man ermutigen müsse, im Sandkasten zu spielen. Sie hatte ja keine Ahnung, wie lang eine Minute sein konnte, was in einer Minute alles passieren konnte.
    Widerstrebend stand ich auf und ging zu dem Zaun, der am nächsten zur Straße lag, strich mit den Fingerspitzen über die Rinde eines Baumes. Über mir starrte eine Krähe mit ihrem seelenlosen Blick auf mich herunter und krächzte mit einer beinahe menschlich klingenden Stimme. »Verpiss dich«, sagte ich. Mit mir stand es langsam genauso schlimm wie mit Claire, ich hörte schon die Vögel reden.
    Aus der Entfernung beobachtete ich, wie sie über den Tisch gebeugt dasaßen. Meine Mutter braun gebrannt und flachsblond, in Blau, Claire blass und dunkel, in Braun. Es war surrealistisch, Claire mit meiner Mutter zusammen an einem orangeroten Picknicktisch in Frontera. Wie einer von den Träumen, in denen ich nackt in der Schlange in der Schulkantine stand. Ich hatte bloß vergessen, mich anzuziehen. Ich träume das alles und kann wieder aufwachen, sagte ich mir.
    Claire drückte eine Handfläche an die Stirn, so als wolle sie prüfen, ob sie Fieber hatte. Meine Mutter nahm Claires andere schmale Hand in ihre großen Hände. Meine Mutter redete ohne Unterlass auf sie ein, leise, vernünftig; ich hatte sie auf diese Weise schon eine Katze hypnotisieren sehen. Claire war aufgeregt. Was erzählte sie ihr bloß? Es war mir egal, was meine Mutter da vorhatte. Ihre Zeit war um. Wir würden fahren, sie musste bleiben. Das konnte sie mir nicht verderben, egal, was sie auch sagte.
    Beide blickten auf, als ich wieder zu ihnen trat. Meine Mutter starrte mich wütend an, dann verschleierte sie ihren Ärger mit einem Lächeln und tätschelte Claires Hand. »Denken Sie bloß daran, was ich Ihnen gesagt habe.«
    Claire sagte gar nichts. Sie war ganz ernst. All ihr Gekicher war verschwunden, ihre Freude darüber, einen anderen Menschen gefunden zu haben, der Shakespeare zitierte. Sie stand auf, die blassen Fingernägel auf die Tischplatte gestützt. »Ich treffe dich am Auto«, sagte sie.
    Meine Mutter und ich sahen sie davongehen, ihre langen Beine in den mattbraunen Strumpfhosen, die ruhigen Bewegungen. Meine Mutter hatte ihr die ganze elektrische Spannung genommen, die Lebhaftigkeit, den Charme. Sie hatte sie ausgelöffelt, so wie die Chinesen den Schädel eines lebendigen Affen aufsägen und dann sein Gehirn mit einem Löffel essen.
    »Was hast du ihr gesagt?«
    Meine Mutter lehnte sich auf der Bank zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Gähnte wohlig wie eine Katze. »Ich habe gehört, dass sie Probleme mit ihrem Mann hat.« Sie lächelte wollüstig und strich sich über die blonden Härchen auf ihren Unterarmen. »Das liegt aber nicht an dir, oder? Ich weiß ja, dass du eine Vorliebe für ältere Männer hast.«
    »Nein, es liegt nicht an mir.« Mit mir konnte sie nicht so umspringen wie mit Claire. »Du hältst dich da raus.«
    Noch nie zuvor hatte ich es gewagt, so zu ihr zu sprechen. Wenn sie nicht hier in Frontera festgesessen hätte, hätte ich nie den Mut gehabt. Doch ich

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