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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Smaragdaugen, den ich auf meinem Knie balancierte, hatte die Tante ihres Vaters, Geraldine Woods, die mit Isadora Duncan zusammen getanzt hatte, in den zwanziger Jahren aus Brasilien mitgebracht. Ich trug Claires Familienalbum. Großmütter mütterlicherseits und Urgroßtanten väterlicherseits, Frauen in smaragdgrünem Taft, Samt und Granaten. Zeit, Ort und Charaktere, eingeschlossen in Edelsteine und filigranes Silber.
    Verglichen damit war meine Vergangenheit Rauch, eine Geschichte, die meine Mutter mir einmal erzählt und später wieder abgestritten hatte. Keine Onyxe für mich, keine Aquamarine, die an das Leben meiner Vorfahren erinnerten. Ich besaß nur ihre Augen, ihre Hände, die Form einer Nase, eine Schwäche für Schneefall und geschnitztes Holz.
    Claire ließ ein goldenes Halskettchen auf eines ihrer geschlossenen Lider herabtröpfeln, Jadeperlen auf das andere. Sie sprach sehr vorsichtig, damit nichts herunterfiel.
    »Früher hat man die Leute so begraben. Den Mund voller Edelsteine und eine Goldmünze auf jedem Auge. Geld für die Überfahrt ins Jenseits.« Sie ließ ein Korallenkettchen in ihren Bauchnabel rieseln und legte sich die zweireihige Perlenkette zwischen die Brüste. Nach kurzer Zeit nahm sie die Perlenkette, öffnete den Mund, ließ die Kette hineinfallen und schloss die Lippen über den glänzenden Muscheleiern. Ihre Mutter hatte ihr die Perlen zur Hochzeit geschenkt, obwohl sie dagegen gewesen war, dass Claire einen Juden heiratete. Als Claire mir das erzählte, hatte sie wahrscheinlich erwartet, dass ich darüber entsetzt wäre, doch ich hatte bei Marvel Turlock und Amelia Ramos gelebt. Vorurteile überraschten mich nicht mehr. Ich fragte mich nur, wieso sie ihr dennoch die Perlen geschenkt hatte.
    Claire lag bewegungslos da und spielte tot. Eine juwelenbehängte Leiche in rosa Spitzenwäsche, bedeckt mit ganz feinen Schweißperlen. Ich war nicht sicher, ob mir dieses neue Spiel gefiel. Durch die Flügeltüren, unterhalb der geschlossenen Jalousien, konnte ich den Garten sehen, der in diesem Frühjahr sich selbst überlassen blieb. Claire arbeitete nicht mehr im Garten; kein Beschneiden der Pflanzen oder Unkrautjäten mehr, kein spitzer chinesischer Hut zwischen den Rabatten. Sie stützte die Blumen nicht mehr ab, und jetzt blühten sie kreuz und quer durcheinander, die zweijährigen Gladiolen neigten sich zur Seite. Auf dem ungemähten Rasen wucherten die Nachtkerzen.
    Wieder einmal war Ron unterwegs, neuerdings zweimal im Monat. Diesmal war er in Andalusien und drehte einen Bericht über Zigeuner. Durchkämmte die Welt nach bizarren Ereignissen und sammelte Flugmeilen. Dabei hätte er, um etwas wirklich Sonderbares und Unheimliches zu sehen, bloß in das eigene Schlafzimmer zu gehen brauchen, wo seine Frau in rosarotem Spitzenslip und BH auf dem Bett lag, behängt mit Jade und Perlen, und so tat, als sei sie tot. Unter dem Bett die Voodoo-Schachtel mit den Magneten, Heftern und Stiften, den zusammengeklebten Polaroid-Fotos, die ihn nach Hause beschwören sollten.
    Plötzlich bekam sie durch die Perlen keine Luft mehr und setzte sich würgend auf. Der Schmuck glitt von ihrem Körper herunter. Sie zog sich die Perlenkette aus dem Mund und hielt sie fest. Claire war so blass, dass ihr Mund dagegen unnatürlich rot wirkte, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie sank über dem Bündel glänzender, speichelnasser Perlen auf der Bettkante zusammen und kehrte mir dabei den Rücken zu, die Wirbel aneinander gereiht wie Jadekugeln.
    Dann griff sie nach meiner Hand; ihre Nägel waren schmutzig, die Fingerkuppen klein und empfindlich wie die eines Kindes; die Ringe wirkten so überdimensioniert und unpassend wie Schmuck aus dem Kaugummiautomaten. Ich nahm ihre Hand. Sie führte meine Hand an ihr Gesicht und presste den Handrücken an ihre feuchte Wange. Sie verglühte fast. Ich legte mein Gesicht auf ihre Schulter, ihr Rücken war wie Feuer. »Ron wird bald wieder zurück sein«, versuchte ich sie zu beruhigen.
    Sie nickte, der Kopf war viel zu schwer auf ihrem dünnen Hals, wie bei einer ihrer schlaff herabhängenden Tulpen; die Höcker ihrer Wirbelsäule wie das Skelett einer Diamantklapperschlange. »Es ist jetzt schon so heiß. Was soll ich erst machen, wenn es Sommer wird?«
    Sie bestand nur noch aus Haut und Nerven, keine Masse, kein Gewicht. Sie war ein Drachen aus Haut, der im trockenen, heftigen Wind flatterte.
    »Wir sollten an den Strand fahren«, schlug ich vor.
    Sie

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