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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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würde hier verschwinden, und sie würde bleiben, und diese Tatsache gab mir eine Stärke, die ich nie gefunden hätte, wenn sie frei gewesen wäre.
    Ich konnte sehen, wie verblüfft sie darüber war, dass ich mich widersetzte. Es ärgerte sie, dass ich das überhaupt wagte, doch sie hatte sich unter Kontrolle. Ich merkte, wie sie einen kleineren Gang einlegte. Sie bedachte mich mit einem langsamen, ironischen Lächeln. »Deine Mami will dir nur helfen, Liebling«, sagte sie und leckte dabei ihre Worte, wie eine Katze Sahne aufschleckt. »Ich tue doch für meine neue Freundin, was ich kann.«
    Wir sahen beide, wie Claire auf der anderen Seite des Stacheldrahtzauns vorbeiging. Tief in Gedanken versunken, lief sie zu ihrem Saab zurück und stieß dabei gegen den Kotflügel eines parkenden Kombis. »Lass sie bloß in Ruhe.«
    »Oh, aber es ist doch so unterhaltsam«, sagte meine Mutter, die genug vom Verstellen hatte. Es war ihr immer lieber gewesen, mich hinter die Kulissen zu führen. »Einfach, aber unterhaltsam. Wie das Ertränken von jungen Kätzchen. Und in meiner augenblicklichen Situation muss ich die Unterhaltung nehmen, wie sie kommt. Ich möchte nur zu gerne wissen, wie du es aushalten kannst, mit der armen Claire zusammenzuleben. Wusstest du übrigens, dass es einen ganzen Orden gibt, die armen Klarissinnen? Ich kann mir vorstellen, dass es gähnend langweilig ist. Den Notendurchschnitt ein bisschen aufpeppen und was nicht noch alles. Bemitleidenswert.«
    »Sie ist ein durch und durch netter Mensch«, sagte ich und wandte mich von ihr ab. »Aber das kannst du ja nicht verstehen.«
    Meine Mutter schnaubte verächtlich. »Verschone mich bitte mit der Nettigkeitsseuche. Ich hätte gedacht, dass du über solche Kindereien längst hinaus bist.«
    Ich kehrte ihr weiterhin den Rücken zu. »Mach es mir nicht kaputt.«
    »Wer, ich?« Meine Mutter lachte mich an. »Was sollte ich denn schon tun? Ich bin doch nur eine arme Gefangene. Ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel.«
    Ich drehte mich zu ihr. »Du hast ja keine Ahnung, wie es gewesen ist.« Ich beugte mich über sie, ein Knie auf die Bank neben ihr gestützt. »Wenn du mich lieben würdest, würdest du mir helfen.«
    Sie lächelte, langsam und hinterhältig. »Dir helfen, mein Schatz? Lieber würde ich dich in der schlimmsten Fürsorgehölle sehen als bei einer solchen Frau.« Sie griff empor, um mir eine Locke aus dem Gesicht zu streichen, und ich zuckte zurück. Sie packte mein Handgelenk und zwang mich, sie anzublicken. Jetzt war sie todernst. Nach all den Spielchen ging es jetzt nur noch um einen Machtkampf. Ich hatte Angst zu kämpfen. »Was kannst du von so einer Frau schon lernen?«, sagte sie. »Wie man sich kunstvoll grämt? Siebenundzwanzig Namen für Tränen?« Ein Wärter bewegte sich auf uns zu, und sie ließ mein Handgelenk schnell los.
    Sie stand auf und küsste mich auf die Wange, umarmte mich leicht. Wir waren gleich groß, doch ich spürte, wie stark sie war; sie war wie die Stahlkabel, die Brücken tragen. Sie zischte mir ins Ohr: »Ich kann dir nur eins raten: Halte deine Taschen gepackt!«
    Claire starrte nach draußen auf die Straße. Eine Träne floss aus ihren übervollen Augen. Siebenundzwanzig Namen für Tränen . Aber nein, dieser Gedanke war nicht von mir. Ich widersetzte mich einer Gehirnwäsche. Das war Claire. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, während sie auf die Landstraße abbog. Sie lächelte und tätschelte sie mit ihrer kleinen kühlen Hand. »Ich glaube, ich war deiner Mutter ganz sympathisch, meinst du nicht auch?«
    »Das warst du«, sagte ich und schaute dabei aus dem Fenster, damit ich ihr nicht ins Gesicht lügen musste. »Sie mochte dich wirklich.«
    Eine Träne kullerte ihr über die Wange, und ich wischte sie mit meinem Handrücken weg. »Was hat sie dir gesagt?«
    Claire schüttelte den Kopf, seufzte. Sie betätigte die Scheibenwischer, obwohl nur ein feiner Nebel war, stellte sie dann wieder ab, als sie zu quietschen begannen. »Sie hat gesagt, dass ich Recht hatte mit Ron. Dass er eine Affäre hat. Ich wusste es ohnehin. Sie hat es mir nur bestätigt.«
    »Woher will sie das denn wissen?«, fragte ich wütend. »Um Himmels willen, Claire, sie hat dich doch gerade erst kennen gelernt.«
    »Alle Anzeichen sind da.« Sie schniefte, wischte sich die Nase mit der Hand ab. »Ich wollte es bloß nicht wahrhaben.« Doch dann lächelte sie. »Mach dir keine Sorgen. Wir werden damit schon irgendwie fertig.«
    Ich

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