Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
schüttelte den Kopf, so schnell, als habe sich eine Fliege auf sie gesetzt. »Das ist es nicht.«
    Ich saß auf einem der Schmuckstücke, es bohrte sich in meine Hüfte. Ich machte eine Hand frei, fasste unter mich und zog es heraus. Es war ein Aquamarin, so groß wie eine ungeschälte Mandel. Aquamarine wachsen zusammen mit Smaragden, hatte Claire mir erzählt. Doch Smaragde sind empfindlich und zerbrechen immer in kleinere Stückchen, wogegen Aquamarine stärker sind und problemlos zu riesigen Kristallen heranwachsen; deshalb sind sie auch nicht so wertvoll. Wirklich wertvoll ist der Smaragd, der nicht zerbricht.
    Ich hielt ihr den eisblauen Stein hin, die Farbe der Augen meiner Mutter. Sie schob ihn auf ihren Zeigefinger, wo er hing wie ein Türgriff an einem Strick. Sie starrte den Stein an. »Der hat meiner Mutter gehört. Mein Vater hat ihn ihr geschenkt, um eine Kreuzfahrt rund um die Welt zu feiern.« Sie zog ihn wieder vom Finger. »Ihr war er auch viel zu groß.«
    Nebenan pfiff Mrs. Kromachs Papagei immer wieder die gleichen drei Töne in einer aufsteigenden Folge, jeweils dreieinhalb Töne auseinander. Ein Eiscremewagen rollte die Straße entlang und spielte »Pop Goes the Weasel«. Claire lag auf dem Rücken, sodass sie mich anschauen konnte, eine Hand unter den Kopf gestützt. Sie war sehr schön, sogar jetzt noch. Das dunkle Haar hing ihr locker über die Schultern, nass am Haaransatz; die dunklen Augenbrauen gebogen und glänzend; die kleinen Brüste rundeten sich unter der rosa Spitzenwäsche.
    »Wenn du dich umbringen wolltest, wie würdest du es anstellen?«, fragte sie.
    Ich drehte mich auf den Bauch und durchstöberte den Schmuckhaufen. Ich versuchte einen goldenen Armreif anzuprobieren. Er passte nicht über meine Hand. Ich dachte an meine Selbstmorde, an die Zeit, als ich den Tod durch meine Finger gleiten ließ wie Jettperlen. »Gar nicht.«
    Sie breitete eine Indianerkette auf ihrem flachen Bauch aus, Stränge haardünner Silberröhrchen, die das Metall flüssig erscheinen ließen wie Quecksilber. »Gut, lass uns annehmen, du wolltest es.«
    »Es verstößt gegen meine Religion.« Der Schweiß sickerte mir zwischen den Brüsten hinunter und sammelte sich in meinem Bauchnabel.
    »Was für eine Religion ist das denn?«
    »Ich glaube ans Überleben.«
    Das wollte sie nicht durchgehen lassen. Ich spielte nicht mit bei ihrem Spiel. Es ging gegen die Regeln. »Nehmen wir nur mal an, du wolltest es tun. Stell dir vor, du wärst sehr alt und hättest eine schreckliche, unheilbare Form von Krebs.«
    »Ich würde mir ganz viel Demerol besorgen und ausharren.« Ich würde mit Claire nicht über Selbstmord diskutieren. Das stand auf der Liste der asozialen Handlungen, die meine Mutter angelegt hatte. Ich würde ihr bestimmt nicht den sichersten Weg verraten: den Plan des knochenkrebskranken Jungen, sich eine Luftblase in die Vene zu spritzen und sie durch das Blut wandern zu lassen wie eine Perle. Ich war mir sicher, dass ihre Tante Priscilla die gleiche Methode ab und an auf dem Schlachtfeld angewandt hatte, wenn ihr das Morphium ausgegangen war. Dann gab es noch die Möglichkeit einer ordentlichen Ladung Cyanid auf die Zungenwurzel, so wie man es mit Katzen macht. Es geht sehr schnell. Wenn man wirklich vorhat, sich umzubringen, will man nichts Langsames. Jemand könnte hereinkommen, jemand könnte einen retten.
    Claire umklammerte ihr Knie mit einer Hand, schaukelte ein bisschen auf ihrer Wirbelsäule hin und her. »Weißt du, wie ich es machen würde?«
    Sie wollte mich unbedingt diese Straße hinunterziehen, ich würde aber nicht dort entlanggehen. »Lass uns an den Strand fahren, okay? Diese Hitze macht uns noch ganz verrückt.«
    Sie hörte mich noch nicht einmal. Ihre Augen blickten verträumt, wie bei jemandem, der sich gerade verliebt hat. »Ich würde mich vergasen. Das ist der einzig richtige Weg. Es heißt, es sei genau wie einschlafen.«
    Sie erinnerte mich an eine Frau, die sich in den Schnee legt. Sich nur für ein Weilchen hinlegen will, weil sie so müde ist. Sie war so lange gelaufen, sie wollte sich nur ein bisschen ausruhen, und es war gar nicht so kalt, wie sie dachte. Sie war so schläfrig. Sie wollte kapitulieren. Aufhören, gegen den Sturm und die alles umhüllende Nacht zu kämpfen, nur im Weißen liegen und schlafen. Ich verstand sie gut. Ich hatte früher immer geträumt, dass ich an einer Korallenwand hinunterschnorchelte. Die Euphorie setzte ein, während der Stickstoff in

Weitere Kostenlose Bücher