Weisser Oleander
kam, vorsichtig, Schritt für Schritt. Er hatte den Kescher in der Hand. »Da kommt er wieder zurück.«
Ich kurbelte wie verrückt, und tatsächlich – die Schnur änderte die Richtung; er kam zurück, den Fluss hoch. Ich hielt den Atem an; ich hätte mir vorher nicht vorstellen können, dass es so aufregend ist, wenn man eine Angelschnur in den Fluss senkt und ein Fisch anbeißt. Plötzlich etwas Lebendiges an der Angel zu haben, wo vorher nichts gewesen ist.
»Lass ihn sich müde schwimmen«, sagte Ron.
Ich ließ die Schnur wieder abspulen. Der Fisch schwamm den Fluss hoch. Ich schrie vor Lachen, als ich in eine Vertiefung stolperte und meine Anglerstiefel sich mit eiskaltem Wasser füllten. Ron zog mich hoch, stützte mich. »Soll ich ihn für dich an Land holen?« Und wollte schon nach meiner Angelrute greifen.
»Nein«, sagte ich und riss sie ihm weg. Das war mein Fisch. Niemand würde mir diesen Fisch wegnehmen. Ich fühlte mich, als hätte ich ihn mit einem Köder aus meinem eigenen Fleisch gefangen, mit einer Angelschnur aus meinen Kleidern. Ich musste diesen Fisch haben.
Claire kam, um zuzuschauen. Sie setzte sich ans Ufer und zog die Knie unter das Kinn. »Sei vorsichtig!«, sagte sie.
Der Fisch schwamm noch dreimal hin und her, ehe Ron meinte, dass er nun müde genug sei und ich ihn herausholen könne. »Drill ihn jetzt ran, drill ihn ran!«
Der Arm tat mir schon vom vielen Kurbeln weh, doch mein Herz machte einen Satz, als er durch das Wasser brach wie glänzendes flüssiges Silber, zwei Fuß lang. Er schlug immer noch wild hin und her.
»Halt ihn gut fest, verlier ihn jetzt nicht«, sagte Ron, während er mit seinem Kescher kam, um den Fisch einzusammeln.
Diesen Fisch würde ich nicht verlieren, und wenn er mich den ganzen Weg bis nach Coos Bay ziehen sollte. Mir war schon genug durch die Hände geglitten.
Ron fing ihn mit dem Kescher, und gemeinsam gingen wir ans Ufer zurück. Ron kletterte die Böschung hoch und trug den riesigen, zappelnden Fisch im Kescher.
»Er ist so lebendig«, sagte Claire. »Wirf ihn wieder zurück, Astrid.«
»Machst du Witze? Ihren allerersten Fisch? Gib ihm eins auf den Schädel«, sagte er und reichte mir einen Hammer.
Der Fisch zappelte im Gras herum und versuchte ins Wasser zurückzuspringen.
»Schnell, oder er ist gleich weg!«
»Tu’s nicht, Astrid.« Claire sah mich mit ihrem zartesten Wildblumenblick an.
Ich nahm den Hammer und schlug dem Fisch auf den Kopf. Claire drehte sich weg. Ich wusste genau, was sie dachte: dass ich mich mit Ron verbündete, mit der Welt und ihren Grausamkeiten. Doch ich wollte diesen Fisch. Ich holte den Haken heraus und hielt ihn hoch, und Ron machte ein Foto von mir und dem Fisch. Claire sprach den ganzen restlichen Nachmittag nicht mehr mit mir, doch ich fühlte mich endlich einmal wie ein richtiges Kind und sah nicht ein, dass ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben sollte.
Ich fand es schrecklich, dass wir nach L. A. zurückkehren mussten. Nun musste Claire Ron wieder mit Telefonanrufen und Faxen und viel zu vielen Leuten teilen. In unserem Haus wimmelte es von Projekten und Projektangeboten, Skripten im Umlauf, Gerüchten aus der Filmindustrie, Artikeln in Variety . Rons Freunde wussten nicht, wie sie sich mit mir unterhalten sollten. Die Frauen ignorierten mich, und die Männer waren allzu interessiert; sie standen zu nahe bei mir, lehnten sich in Türrahmen und erzählten mir, ich sei schön, ob ich nicht auch Schauspielerin werden wolle.
Ich hielt mich dicht bei Claire, doch es machte mich nervös, ihr zuzusehen, wie sie diese Leute bediente, diese gleichgültigen Fremden, ihren Weißwein kühlte, Pesto für sie zubereitete, Lebensmittel bei Chalet Gourmet besorgte. Ron sagte, sie solle sich keine Mühe machen, sie könnten doch den Pizzadienst kommen lassen oder Brathähnchen von El Pollo Loco bestellen, doch Claire meinte, sie könne ihre Gäste nicht aus Pappschachteln beköstigen. Sie verstand nicht. Diese Leute sahen sich nicht als ihre Gäste. Für sie war sie bloß die Ehefrau, irgendeine arbeitslose Schauspielerin, ein Kuli. In diesem Sommer gab es so viele hübsche Frauen, in Sommerkleidern und Sonnentops, in Sarongs. Ich wusste, dass sie darüber grübelte, welche von ihnen Rons Circe war.
Schließlich nahm sie Prozac ein, doch es machte sie unruhig. Sie konnte nicht mehr still sitzen und fing an zu trinken, um die Wirkung auszugleichen. Ron gefiel das nicht, denn sie sagte lauter Dinge, die sie
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