Weisser Oleander
Meter hoch, sah aus wie verbrannt. Ich fragte mich, wer sich wohl einen schwarzen Baum zulegte, doch mir war klar, dass ihn irgendjemand schon kaufen würde. Für merkwürdiges Verhalten gab es keine Grenzen. Irgendjemand würde ihn als Witz kaufen, als verspäteten Halloweenscherz, um ihn mit Plastikschädeln und winzigen Guillotinen zu schmücken. Oder er würde jemandem als politische Aussage zur Weihnachtszeit dienen. Oder jemand würde ihn einzig und allein deshalb kaufen, um seine Kinder zum Weinen zu bringen.
Die Bäume rochen wie in Oregon. Wenn wir nur wieder dort sein könnten: Ein weicher Regen würde fallen, in der Blockhütte der Holzofen. Ich ging zu Claire, die sich mit einem Baum herumquälte, der beinahe richtig war, abgesehen davon, dass er auf einer Seite eine kleine Astlücke hatte. Sie zeigte sie mir mit bangen Handbewegungen. Ich versicherte ihr, dass sie die Stelle doch zur Wand drehen könne, niemand würde es merken.
»Das ist nicht der Punkt«, sagte sie. »Wenn etwas nicht stimmt, kann man es nicht einfach zur Wand drehen.«
Ich wusste, was sie meinte, überzeugte sie aber trotzdem, den Baum zu kaufen.
Zu Hause angekommen, wies Claire Ron an, wie die Lichter aufgehängt werden sollten. Ursprünglich hatte sie echte Kerzen gewollt, doch das ging Ron zu weit. Wir wanden Girlanden aus Chilies und Popcorn um den Baum, während Ron sich ein Fußball-Länderspiel im Fernsehen anschaute. Mexiko gegen Argentinien. Er wollte den Fernseher nicht ausschalten, um Claire ihre Weihnachtslieder hören zu lassen. Eine Männerwelt. Er konnte sich kaum lange genug vom Bildschirm losreißen, um den goldenen Engel auf die Spitze zu stecken.
Claire schaltete die Zimmerlampen aus, und wir betrachteten im Dunkeln den Weihnachtsbaum, während Mexiko auf Südamerika einstürmte.
Am Morgen des Heiligen Abend erhielt Ron einen Anruf; in Bayou St.Louis sei jemandem die Jungfrau Maria erschienen. Er sollte hinfahren, um einen Bericht darüber zu filmen. Sie hatten einen schlimmen Streit, und Claire schloss sich in ihrem Schlafzimmer ein. Ich polierte in der Küche das Silber, eine Arbeit, in der ich es zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hatte. Wir hatten vorgehabt, für das Abendessen Leinentischtücher und Kristall zu decken. Ich wollte mein neues Kleid von Jessica McClintock anziehen. Claire hatte bereits die Gans gefüllt und Trifle, ein original englisches Dessert, von Chalet Gourmet geholt. Wir hatten Karten für das mitternächtliche »Messias-Konzert« in der Hollywood Bowl.
Wir gingen nicht hin. Ich aß Schinkenbrote und sah mir »Ist das Leben nicht schön« im Fernsehen an. Claire kam aus dem Schlafzimmer und warf die Gans in den Mülleimer. Sie setzte sich in dem karierten Morgenmantel, den Ron ihr als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk gegeben hatte, zu mir vor den Fernseher, schenkte sich kleine Gläser mit Sherry ein, eins nach dem anderen, und fing immer wieder an zu weinen. Ich trank ein, zwei Gläser des süßen Likörs, um ihr Gesellschaft zu leisten; er schmeckte auch nicht schlechter als Hustensaft. Schließlich nahm sie ein paar Schlaftabletten und nickte auf der Couch ein. Sie schnarchte wie ein Rasenmäher im hohen Gras.
Sie verschlief den größten Teil des Weihnachtsmorgens und wachte dann gegen Mittag mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf. Wir sprachen nicht über Ron, sie wollte auch die Geschenke nicht anrühren, die er ihr gemacht hatte. Ich hatte einen echten Seemannspullover bekommen, ein neues Set Acrylfarben, ein großes Buch über japanische Holzschnitte und einen Seidenpyjama, so ähnlich wie die, die Myrna Loy in den »Dünner Mann«-Filmen trug.
Mein Geschenk für Claire war klein, verglichen mit denen, die Ron ihr gekauft hatte. »Hier, pack doch etwas aus.«
»Ich will gar nichts haben«, sagte sie unter ihrem essiggetränkten Waschlappen hervor.
»Ich hab es extra für dich gemacht.«
Sie schob den Waschlappen beiseite und streifte trotz der Schmerzen in ihren Schläfen die Bastbänder ab und schlug das marmorierte Geschenkpapier auseinander, das ich selber gemacht hatte. Es enthielt ein Porträt von ihr in einem runden Holzrahmen. Sie brach in Tränen aus, rannte dann ins Bad und übergab sich. Ich konnte sie würgen hören. Ich nahm das Bild in die Hand, eine Kohlezeichnung, und folgte mit dem Finger ihrer hohen, gewölbten Stirn, der Krümmung ihrer feinen Knochen, dem spitzen Kinn, den gebogenen Brauen.
»Claire?«, rief ich durch die Badezimmertür.
Ich
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